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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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starken Handgelenke, dann richtete er seine Energie auf Paul.
    »Diese Idioten fragen mich über ihren Sohn aus. Sie kapieren überhaupt nichts.«
    Paul war unfähig zu antworten.
    Kulwant machte einen Satz, schüttelte seine Aufpasser ab und griff nach einer von vier, fünf kleinen Plastiktüten, die auf dem Schreibtisch lagen. Darin war eine Spritze, und er wedelte damit dem Beamten vor der Nase herum und brüllte aufgeregt etwas. Wieder konnte Paul nicht folgen. Sein Blick fiel unwillkürlich wieder auf Helens Leiche. Die Kombination der ausgebreiteten Arme, der brutalen Entblößung und ihrer wächsernen Reglosigkeit war unheimlich.
    »Der Amerikaner wird jedes meiner Worte bestätigen.« Kulwant wandte sich wieder an Paul. »Dies ist eine schreckliche, schreckliche Tragödie. Ihr Mann hat sie vor sechs Monaten dazu überredet, ihn umzubringen, stimmt’s? Sie hat ihren Mann auf seinen Wunsch getötet. Er wollte sterben. Und zweifellos hat er sie gebeten, sich selbst das Gleiche anzutun. Er hat sie dazu angestachelt. Ich habe gesehen, wie sie monatelang darüber nachgedacht hat. Ich habe sie oft gewarnt, sehr oft. Ihr Mann war krank, stimmt’s, Mr. Roberts? Sie schreiben doch über ihn. Sie müssen das wissen. Er war brillant, aber krank, seine Triebe waren krankhaft, total krankhaft und gestört, und er war voller Angst. Ich habe Helen das seit Jahren gesagt. Oh, ich kann das einfach nicht glauben. Es ist alles meine Schuld.«
    Lahm sagte Paul: »Ich bin sicher, Albert James hätte niemals jemanden überredet, sich umzubringen. Schon gar nicht seine Frau. Das passte überhaupt nicht zu seinem Charakter.«
    »Aber sein ganzes Denken lief darauf hinaus«, rief Kulwant. »Und was ist das hier?« Wieder wedelte er mit der Spritze vor dem Polizisten herum. »Sie werden in dieser Spritze eine tödliche Mischung finden. Da bin ich ganz sicher. Vermutlich Insulin und Valium. Das wirkt sehr schnell.«
    »Das reicht jetzt«, sagte der Beamte scharf. »Ein Mann, dersechs Monate tot ist, kann niemanden anstacheln, sich umzubringen. Ich sagte, es reicht!«, wiederholte er, als Kulwant den Mund öffnete, um noch mehr zu sagen. »Es stimmt, wir haben vier Spritzen auf dem Boden gefunden. Sie werden selbstverständlich untersucht.« Der Beamte ließ einen Augenblick verstreichen. »Aber es gibt noch andere Fragen, die beantwortet werden müssen.« Er berührte kurz seinen Schnurrbart. »Warum hat der Sohn seiner Mutter nicht gesagt, dass er in Delhi ist? Warum hat die Frau keinen Brief hinterlassen, wenn es Selbstmord war? Wenn er seine Mutter schon tot vorgefunden hat, warum hat der Sohn dann die Tür abgeschlossen? Warum hat er sich geweigert, mit uns zu sprechen?«
    Kulwant schien plötzlich von seinen Gefühlen erschöpft zu sein. »Vielleicht gibt es ja irgendwo einen Brief«, sagte er matt. »Ich kann es immer noch nicht glauben. Es ist zu schrecklich. Vielleicht hat sie jemandem eine E-Mail geschickt.«
    Der Beamte wandte sich Paul zu. »Glauben Sie, Dr. James könnte sich umgebracht haben? Hat sie über so etwas gesprochen, während Sie bei ihr wohnten?«
    Ganz langsam fing Pauls Gehirn an zu arbeiten. Hatte Helen etwas erwähnt? Vielleicht hatte sie das, und er hatte es nicht verstanden. »Was ist mit dem Jungen da?«, fragte er vorsichtig. »Warum ist der Junge tot, wenn es Selbstmord war?«
    Kulwant schaute erneut die Leichen an. Er hockte sich hin, versucht diesmal aber nicht, näher heranzugehen. »Lieber Gott!«, murmelte er. »Helen!« Er hob eine Hand an die Stirn, rückte seinen Turban zurecht und stand wieder auf. »Ich sehe keine Spuren bei ihm«, sagte er seufzend. »Kein Blut. Sie werden feststellen, dass auch er an einer Injektion gestorben ist.«
    Dann fing in jemandes Tasche ein Telefon mit dringlicher Melodie zu klingeln an. Eine Bhangra-Melodie. Es klang ziemlich fröhlich.
    »Es muss eine Autopsie gemacht werden«, sagte der Beamte.
    Kulwant schob die Hand in die Hosentasche, zog das Telefon heraus und schaute auf das erleuchtete Display. »Jasmeet!« Er drückt auf eine Taste, hob das Telefon an sein Ohr und fragte: »Wo um alles in der Welt bist du, Jasmeet?«

33
    John war in einer Zelle auf dem Polizeirevier in der Naya Bazar Road untergebracht, gut fünfhundert Meter von der Klinik entfernt. Er stritt ab, seine Mutter geschlagen zu haben. Vielleicht hatte er sie geohrfeigt, um sie aufzuwecken. Er erinnerte sich nur noch daran, konnte er der Polizei nach über vierundzwanzig Stunden, in denen er

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