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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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hast: Schreib doch endlich mal was, was sich gut verkauft, Dad, dann kann ich von den Tantiemen leben!«
    »Das war doch nur ein Witz«, sagte John lächelnd.
    Helen schob sich das Haar aus der Stirn und beugte sich über den Tisch. »Aber weißt du, was dieser Mann gesagt hat, John?«
    »Welcher Mann?«
    »Der Schriftsteller, der die Biografie schreiben will.«
    John wartete, von einem seltsamen Glücksgefühl erfüllt.
    »Er hat gesagt« – Helen zögerte –, »dass er Dad für ein großartiges, inspirierendes Individuum hält.«
    »Und? Klingt doch gut.«
    »Aber es ist doch ein bisschen komisch, findest du nicht, das ausgerechnet von deinem Vater zu sagen.«
    Als er immer noch nicht verstand, sagte seine Mutter: »Weißt du denn nicht mehr, wie sein erstes Buch hieß?«
    »Ach ja!«, rief John.
    Albert James hatte 1973 Mythische Individuen veröffentlicht. Nachdem das Buch in Anthropologenkreisen kurz Aufsehen erregt hatte, war es im Großen und Ganzen als modern aufgemachtes nostalgisches Ganzheitsdenken abgeschrieben worden, um dann Jahre später von ein paar Enthusiasten aus der Kommunikationswissenschaft wiederentdeckt zu werden, die glaubten, James stelle darin die These auf, komplexe soziale Feedbacksysteme wären dem dubiosen Konzept individueller Identität überlegen.
    »Ich meine, das ist doch nicht sehr vertrauenerweckend, oder?«, sagte Helen. »Wenn jemand ausgerechnet Dads Individualität betont! Und wenn wir etwas nicht gebrauchen können, dann ist es eine dumme Biografie.«
    »Solange er positiv an die Sache herangeht«, sagte John, »wüsste ich nicht, was daran schlecht sein sollte.«
    »Vielleicht hast du recht«, sagte Helen James. »Ich habe mich noch nicht entschieden.«
    Er betrachtete sie. Jetzt war sie wieder alt. Ihre Augen waren in einem Netz aus Fältchen gefangen. Gleich würde sieaufstehen und ins Bett gehen. Er hatte plötzlich ein unerklärliches Gefühl der Dringlichkeit.
    »Mum, ehrlich, ich wüsste nicht, was du gegen eine Biografie von Dad haben könntest. Er war doch dein Leben! Ihr zwei hattet eine fantastische Beziehung. Eine Biografie würde ihn weiterleben lassen.«
    »Mir wäre es lieber, die Leute würden seine eigenen Bücher lesen«, sagte sie kurz angebunden.
    »Aber das werden sie nicht tun, oder?« Ohne nachzudenken fragte John: »Du hast doch nicht etwa Angst wegen dieser Sache mit der Gerichtsverhandlung, oder?«
    »Wie bitte?« Sie lächelte. »Um Himmels willen, nein! Das war doch die reine Verleumdung.«
    »Aber es hat doch einen ziemlichen Einfluss auf seine Karriere gehabt …«
    Als John im letzten Internatsjahr war, hatte man seinen Vater beschuldigt, in Chicago mit einer minderjährigen Prostituierten Sex gehabt zu haben. Eine höchst unwahrscheinliche Geschichte.
    »Es hat seine Arbeit in der Tat behindert«, gab Helen zu. »So gesehen müsste ein Biograf es auf jeden Fall erwähnen. Aber das eigentlich Schlimme daran war, dass es überhaupt zu einer Gerichtsverhandlung gekommen ist. Egal, das Problem ist, dass ich mich frage, ob dieser Mann Dad auf intellektueller Ebene gerecht werden kann.«
    »Das kannst du nicht wissen, ehe er das Buch geschrieben hat. Immerhin scheint er Dad ernst zu nehmen.«
    Nach kurzem Schweigen verkündete Helen James: »Weißt du, ein paar Mal bin ich doch zu Tagungen gefahren und habe für ihn Vorträge gehalten.« Sie lachte.
    »Wirklich?«
    »Über ein Jahr lang. Als wir in den Staaten gewohnt haben. Das lief ziemlich gut. Einmal, in New York, war es ganzbesonders gut. Und in Melbourne. Ich habe einfach ein paar Dias gezeigt, erzählt, womit sich Dad beschäftigte, und Abschnitte aus seinen Texten vorgelesen. Darauf hat es sogar mehr Reaktionen gegeben, als wenn er seine Sachen selber präsentiert hat. Du weißt ja, wie schnell er vom Thema abkam.«
    »Ich hätte dich gerne dabei erlebt.«
    »Ja, das wäre schön gewesen.«
    »Und warum hast du damit wieder aufgehört?«
    Helen schaute ihren Sohn an. Der Junge war eine Last. »Ach, ich konnte nicht ewig weitermachen. Ich hatte immer das Gefühl, alles viel zu sehr zu vereinfachen. Seine Überlegungen gingen so unendlich viel tiefer als die Worte, die ich benutzte. Vermutlich hatte mein Erfolg damit zu tun, dass ich seine Gedanken verwässert habe. Ich ließ ihn politisch und themenbezogen erscheinen, während er sich immer ganz bewusst von jeder konkreten Anwendbarkeit fernhielt.«
    »Na und? Niemand fängt mit dem Schwierigsten an.«
    »Dann kam die Gerichtsverhandlung.

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