Traeume von Fluessen und Meeren
Rezipienten Unsicherheit oder Verwirrung stiftet. Der Duft der Dame ist einladend, aber ihr Verhalten signalisiert Ablehnung.«
»Genau.« Er hatte seine Cola ausgetrunken und leckte sich die klebrigen Reste vom Handrücken.
»John?«, fragte sie.
»Ja?«
»Dafür, dass du so vehement darauf bestanden hast, etwas darüber zu erfahren, wirkst du nicht sehr interessiert, oder, mein Schatz?«
Er starrte sie an. Anders als Elaine legte seine Mutter nie Parfum auf.
Sie sagte: »Also, wenn du nichts dagegen hast, dann lese ich jetzt weiter. Ich habe mich nämlich gefragt, ob wir nicht ein paar von diesen alten Texten veröffentlichen könnten.«
»Ich fühle mich verschaukelt«, sagte er.
»Wie bitte?«
Er hatte ziemlich leise gesprochen. Er lächelte ein bisschen kindisch, unfähig, zu wiederholen, was er gesagt hatte. Sie schaute ihn verwundert an, schob dann unvermittelt die Papiere beiseite, nahm die Lesebrille samt Kette ab und drehte ihren Stuhl in seine Richtung. »John, ich muss dir etwas sagen.«
Sie beugte sich vor, legte die Hände zwischen die Knie und schaukelte leicht auf dem Stuhl vor und zurück. Ihr Tonfall hatte sich komplett verändert. »John, jemand möchte eine Biografie deines Vaters schreiben. Ein Journalist. Amerikaner. Ich habe heute Nachmittag mit ihm gesprochen.«
John setzte sich auf. »Das ist doch toll!«
»Ja, nicht wahr?« Sie zögerte. »Ich möchte natürlich wissen, was du davon hältst.«
»Aha.« John war sich unschlüssig.
»Ich habe mich gefragt, ob es dir vielleicht nicht recht ist, wenn jemand über Dad schreibt.«
Er verstand nicht. »Warum sollte es mir nicht recht sein? Vielleicht würde ich dann endlich ein paar Dinge erfahren.« Er lachte auf. Die unerwartete Nachricht hatte ihn auf sich selbst zurückgeworfen. Als seine Mutter keine Antwort gab, runzelte er die Stirn. »Allerdings bin ich etwas überrascht. Ehrlich gesagt dachte ich, Dad sei so ziemlich in Vergessenheit geraten.« Er schwieg kurz. »Elaines Freunde hatten noch nie von ihm gehört.«
»Es dürfte viele Leute geben, von denen Elaines Freunde noch nie gehört haben«, sagte Helen James trocken.
»Entschuldige, Mum, ich wollte sagen –«
»John, dein Vater wurde jede Woche zu mindestens einer Konferenz oder Tagung eingeladen. Und das wird vermutlich noch eine Weile so weitergehen, da er seine Krankheit nicht publik machen wollte. In den letzten Jahren hat er die Einladungen nur nicht sehr oft angenommen.«
»Ach so. Man hört oder liest einfach so gut wie nichts von ihm. Ich meine, in den Zeitungen und Fachzeitschriften.«
»Dein Vater war immer eine Randfigur, John, das weißt du genau. Und wenn Zeitungen um Interviews oder Kommentare gebeten haben, hat er jedes Mal abgelehnt. Er konnte Zeitungen nicht leiden. Sogar was die Konferenzen anging, hat er oftgesagt: »Fahr du doch hin, Helen. Du kannst viel bessere Vorträge halten als ich.«
»Warum hast du es nicht gemacht?«
Seine Mutter zuckte die Achseln. »Abgesehen davon, dass die Leute Albert wollten und nicht mich, hatte ich ja auch meine eigene Arbeit. Ich wurde in der Klinik gebraucht.«
Einen Augenblick lang schien sie vergessen zu haben, was sie sagen wollte, und wandte sich wieder den Papieren auf dem Tisch zu, merkte dann aber, dass sie ihre Brille nicht aufhatte und deshalb nicht lesen konnte. Johns Gedanken schweiften ebenfalls ab; es war, als hätte ein Pfad sich in offener Landschaft verloren.
»Weißt du, Mum«, sagte er unvermittelt. »Ich habe Elaine Verhalten in Mustern zu lesen gegeben.« Er lachte jungenhaft. »Ich meine, man muss schließlich mit den intellektuellen Leistungen der eigenen Familie angeben, nicht? Es war sogar das erste Geschenk, das ich ihr gemacht habe. Jedenfalls hat Elaine, nachdem sie es gelesen hatte, gesagt, es käme ihr so vor, als hätte Dad etwas unglaublich Wichtiges zu sagen und hätte dann ein ganzes Buch geschrieben, um sicherzustellen, dass niemand je dahinterkam, was es war.«
Helen runzelte die Stirn. »Alberts Texte sind für Uneingeweihte nicht einfach.«
»Daher nehme ich an, eine Biografie, die Dads Arbeit einem breiteren Publikum zugänglich macht, wäre gar nicht so schlecht, oder? Vielleicht verkauft sich sein Buch dann besser, und wir kriegen ein bisschen Geld raus.«
Zum ersten Mal lachte seine Mutter wirklich amüsiert. »Ach John. John, John!«, sagte sie kopfschüttelnd. »Du bist unverbesserlich, was deine Obsession fürs Geld angeht! Weißt du noch, wie du immer gesagt
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