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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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Biologe vor, eine typische James-Karriere, und dann lassen sie mich plötzlich fallen. Und ich muss betteln gehen. Vater hatte ihm oft ins Internat geschrieben, viel öfter als Mutter, aber die Briefe waren Experimente, mit denen er herausfinden wollte, wie man Dinge erklären konnte, ob ein Kind dies oder jenes verstand, wenn man es auf diese oder jene eigenwillige Art und Weise vermittelte. Sie enthielten passende Anekdoten und Zeichnungen. Sie gaben keine Antworten auf die Fragen, die John immer stellte: Wo fahren wir in den nächsten Ferien hin? Kann ich nicht in Chicago zur Schule gehen?
    John ging wieder weg. Er wollte sich irgendeinen Job suchen und das Labor vergessen. Mal sehen, wie Mum darauf reagiert. Seine Eltern hatten ihn auf diese Laufbahn vorbereitet. Die James’ waren seit Generationen Wissenschaftler. Sie gingen auf gute Schulen und machten gute Abschlüsse. Dann ein Anruf, eine Bestattung, schon war er mittellos. Mal sehen, wie sie reagiert, wenn ihr Sohn Tellerwäscher wird. Mutter untersucht tagtäglich alle möglichen grausigen Krankheiten, sagte er sich, sie berührt infizierte Haut, schaut in Münder voller Geschwüre, vernäht anale Fisteln, aber auf meine E-Mail antwortet sie nicht.
    John stand reglos in der ruhigen Straße. »Dein Vater ist tot«, flüsterte er. Er dachte an den jungen Inder, der ihm die Elefanten verkauft hatte. »Hallo, Sir. Sie wollen ein Schnäppchen, Sir?« So machte man das. Verkauf dich selber. John ging entschlossen auf das Haus seiner Großeltern zu.
    Granny Janet, Anfang achtzig, war alles, was ihre Tochter Helen nicht war: blumig und verspielt, gesprächig, verführerisch, parfümiert, schick. »Johnny!«, rief sie. »Na so was!« Sie trug Ohrringe und Schmuck auf der gepuderten Haut und feine schwarze Strümpfe. »Lange nicht gesehen! Aber wirklich! Wir haben es wohl nicht nötig, anzurufen, nicht wahr, John James, um unsere extrem seltenen Besuche anzukündigen? Na, komm rein, mein Schatz, komm schon! Wie lange ist es her? Wie viele Jahre?«
    Um vier Uhr nachmittags bestand sie darauf, Gin Tonics zu machen. Sie bot ihm extralange Zigaretten an. Sie ließ den jungen Mann auf einem tiefen Ledersofa Platz nehmen. »Erzähl mir alles. Alles!« Sie schien hocherfreut, als ihr Enkel auf die allerplumpeste Weise mit seinen Problemen herausplatzte. John hatte seit Jahren nicht geraucht, aber jetzt nahm er eine Zigarette nach der anderen. Seine Augen fingen an zu tränen, und er musste husten. Er brauchte Geld, klagte er, zum Leben. Er war in einer äußerst schwierigen Situation. Demnächst würde man ihn auf die Straße setzen. Granny Janet nickte seufzend. »Natürlich«, sagte sie, »natürlich hat deine Mutter es nicht fertiggebracht, selbst zu mir zu kommen, nicht wahr? Mir einfach zu schreiben. Oder mich anzurufen. Viel zu stolz!«
    John hatte seinen Gin schon ausgetrunken. Diese schale, gepolsterte Atmosphäre kam ihm vage bekannt vor, von vor etwa zehn, zwölf Jahren. Er war erschöpft, er schämte sich und kam sich kindisch vor. Er hatte viel zu schnell geredet. Der Rauch war ihm zu Kopf gestiegen. Schließlich lehnte er sich zurück und schaute der Frau in die wässrigen Augen.
    »Aber mein Gott, wie bist du attraktiv geworden!«, rief seine Großmutter. Sie stand auf, um ihn zu küssen, sodass er in eine Parfümwolke gehüllt wurde. Ihre faltigen Lippen waren rot geschminkt, die Haut gepudert. »Weiß der Himmel, wo du dieses Aussehen herhast! Jack!«, rief sie, offenbar begeistert. »Dein Enkel ist da. He, Jack! Verflixt noch mal!« Sie brüllte, so laut sie konnte. John sah, dass sie Stöckelschuhe trug. Niemand kam. »Er ist ein komischer alter Kauz«, sagte sie lachend, »er schläft den ganzen Nachmittag. Kommt nie herunter. Ist stocktaub, der Gute.«
    Lachend und kopfschüttelnd bestand sie darauf, dass John ihr von seinen Projekten erzählte. »Erzähl mir einfach alles, mein Lieber, bitte. Wenn du willst, dass wir in dich investieren, dann müssen wir schließlich wissen, wo unsere Finanzen landen, nicht wahr? Raus mit der Sprache. Du weißt ja, die Sommers kriegen gern etwas für ihr Geld.«
    Sie schenkte ihm noch einen Drink ein. John sammelte sich und fing an, über Zellstrukturen, das Immunsystem und Tuberkulose zu reden. Die alte Frau betrachtete ihn weise nickend. »Ja«, sagte sie, »ja, ja, davon habe ich gehört, ja, ich weiß.« Ihm war klar, dass sie keine Ahnung hatte. »Jack!«, rief sie ab und zu, aber nur halbherzig. »Also, es gibt

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