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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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fünf Stoffwechselzyklen«, erklärte er. »Tatsächlich?«, rief sie. Ihre Finger spielten an einer teuren Halskette herum. »Wer hätte das gedacht?« »Eine andere Strategie«, sagte er etwas später, »besteht darin, den Reproduktionsmechanismus des Bakteriums zu stören, es impotent zu machen, wenn du so willst. Es stirbt nicht, aber es kann sich nicht weiter vermehren.«
    »Impotent!«, unterbrach ihn Granny Janet. Das schien das erste Wort zu sein, mit dem sie wirklich etwas anfangen konnte. Dann erkundigte sie sich, ob er eine Freundin hatte. Sie stand auf, strich ihr ziemlich enges geblümtes Kleid glatt und machte erneut etwas zu trinken.
    »Es gibt ein Mädchen, das ich heiraten möchte«, sagte John.
    »Heirat?« Seine Großmutter verzog das Gesicht. »Du bist noch ein bisschen jung zum Heiraten, Johnny.« Sie schüttelte den Kopf. »Dein Großvater und ich …«, fuhr die alte Frau fort. »Es wäre schön, wenn ich ein Foto von dir machen könnte, weißt du, du siehst wirklich gut aus, aber leider habe ich keine Ahnung, wo die Kamera ist. Jack!« Selbst mit den Stöckeln war sie kleiner als Johns Mutter, aber sie besaß eine eifrige, spröde Energie. »Jaa-ack!«
    Sie ging aus dem Zimmer und rief die Treppe hinauf. Das Parkett im Flur war mit Brücken belegt. »Wo ist die Kamera, Jack? Er ist echt ein komischer Kauz!« Sie kam zurück und setzte sich wieder hin. »Wo waren wir stehen geblieben? Dein Großvater und ich, ach ja, wir haben nie behauptet, Heilige zu sein.« Sie lächelte. »Und wir haben auch von unseren Kindern nicht erwartet, dass sie Heilige sind. Überhaupt nicht. Prost übrigens«, sie beugte sich über den Couchtisch, um anzustoßen. Unterhalb des Rüschenkragens ihres Seidenkleids zeichneten sich ihre schlaffen Brüste ab. »Und«, sagte sie, »wir haben immer ein Auge zugedrückt, was die«, sie lachte, »Ungezogenheit deines Onkels Nick anging. Dein Onkel Nick konnte ganz schön unanständig sein, weißt du.«
    »Ja«, sagte John ausweichend. Er wusste, dass seine Mutter nicht mehr mit ihrem Bruder gesprochen hatte, seit sie zu Hause ausgezogen war.
    »Deine Mutter dagegen hat beschlossen, uns alle mit ihrer Tugend zu bestrafen. Schon seit sie, was, sechzehn, siebzehn war, musste sie uns ständig beweisen, dass sie unser Geld nicht brauchte.«
    Granny Janet wartete einen Moment, um zu sehen, wie John darauf reagierte. John nippte an seinem neuen Drink.
    »Und um das zu erreichen, ich meine, um ihr Leben lang nur Gutes tun zu können, musste sie einen Mann heiraten, der blindund gutmütig genug war, ihr in alle möglichen gottverlassenen Winkel der Erde zu folgen, wo man ganz leicht Gutes tun kann, habe ich recht? Dein armer Vater, möge er in Frieden ruhen, konnte natürlich nichts dafür.
    Also«, fuhr sie schnell fort, »ich werde dir selbstverständlich geben, was du brauchst, um aus dieser schwierigen Lage herauszukommen. Das ist doch klar! Sonst wäre ich ja ein Ungeheuer, nicht wahr? Familie ist schließlich Familie. Es sind doch höchstens ein oder zwei Jahre, oder, mein Schatz? Sagen wir zwei Jahre, um die Zeit bis zu deiner Einstellung zu überbrücken. Sie werden dich ganz bestimmt einstellen, so intelligent, wie du klingst; allerdings unter der Bedingung, dass du mir versprichst, dein Talent nicht wegzuwerfen, wie deine Eltern es getan haben.«
    Gepaart mit einer Welle der Erleichterung begriff John, dass ihm finanzielle Unterstützung nur sicher war, wenn er zugab, dass Granny Janet in ihrem ewigen Streit mit seiner Mutter immer recht gehabt hatte.
    »Ich möchte nicht, dass du deine Intelligenz vergeudest«, wiederholte die alte Dame.
    »Nein«, sagte John.
    »Worum es mir geht …« Die alte Dame legte den Kopf schief, lauschte, blickte zur Tür. »Ach was, ich gebe auf«, sagte sie lachend. »Manchmal frage ich mich, ob Jack da oben nicht längst gestorben ist.« Sie schüttelte den Kopf. Ihr dauergewelltes Haar schaukelte wie ein lose sitzender Hut. »Worum es mir geht, Johnny« – jetzt senkte sie die Stimme –, »die Dritte Welt ist ein Fass ohne Boden. Das wirst du kaum abstreiten. Dort kann man seine Energie nur vergeuden, weißt du? Was hat deine Mutter denn in all den Jahren erreicht? Sie hat zehntausend Leuten geholfen, ja? Sie hat das dankbare Lächeln auf ihren braunen Gesichtern gesehen? I wo, sie hat niemandem geholfen! Einen Tag später werden sie ja doch wieder krank. Einen Tag spätersterben ihre Brüder, ihre Kinder. Ihre Frauen. Oder sie leben

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