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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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fließt, sagte er sich, nur zu mir fließt nichts. Er fühlte sich gedemütigt. MUTTER! Diesmal wählte er kursiv und fett. Keine Antwort. Sie rächt sich, weil ich ihren Tisch beschädigt habe, dachte er. Er wusste, dass der Tisch unwichtig war. Der Augenblick im Schlafzimmer war der entscheidende gewesen. Sie will nichts mehr mit mir zu tun haben. »Warum rufst du sie nicht an?«, fragte Elaine. »Wie kannst du Hilfe von anderen erwarten, wenn du nicht wenigstens versuchst, dir selbst zu helfen?«
    Elaine war nett zu ihm, aber sehr beschäftigt. In der Vergangenheit war sie die Verletzliche gewesen. Jetzt hatte sie ihre Proben; sie hatte einen Platz in der Welt. Sie probierte im Wohnzimmer ihre Pantomimen-Szene, lief mit aufgerissenen Augen taumelnd um das Sofa herum und schwenkte dabei matt die Arme. »Nach der Explosion«, sagte sie, »soll ich nach meinem Baby suchen. Aber woher soll ich denn wissen, wie man sich nach einer Explosion fühlt?«
    John schaute ihr zu und betrachtete besonders ihre Arme und Handgelenke. Die Bewegungen glichen denen einer Wasserpflanze, dachte er.
    Wenn er nach Maida Vale zurückkehrte, setzte er sich auf sein Bett und warf die drei grünen Elefanten an das Dartbrett über Jean-Pierres Bett. Sie schlugen klappernd dagegen und fielen dann auf die Bettdecke. Manchmal fiel einer auf den anderen und splitterte durch den Zusammenstoß ab. John hatte nicht versucht, sie zu reparieren. Nicht ein Elefant, nicht zwei Elefanten, nein, drei Elefanten! Sie waren hin. Sie ließen sich nicht einmal mehr ineinanderschieben.
    Er ging früh schlafen und träumte, wie er in einem offenen Boot am Ufer anlegte, an einer schlammigen Stelle, wo aufgespießte Köpfe auf Pfählen thronten. Warum träumte er so viel? Der Kopf seines Vaters war auch dabei. Auf den ersten Seitenvon Wau hatte sein Vater den denkwürdigen Satz »Es ist nicht einfach, Feldstudien über Kopfjäger zu betreiben« geschrieben. Das wurde zu einem beliebten Witz in der Familie. »Es ist nicht einfach, Feldstudien über nukleare Explosionen zu betreiben«, stichelte seine Mutter beim Abendessen. »Oder über die Kleidungsvorlieben von Geistern«, konterte Vater. »Über die Gedanken eines Kindes im Mutterleib«, überbot ihn Mutter. »Dein Vater hat alles aufs Spiel gesetzt«, hatte sie John an dem Abend erzählt, »um seine Studien in eine ungewöhnliche Richtung zu lenken.« »Wieso um alles in der Welt hast du diese hässlichen Dinger gekauft?«, hatte sie wissen wollen, nachdem er die Elefanten auf die Tischplatte geknallt hatte. John gelang es nicht, ihre Stimme aus seinem Kopf zu verbannen. »Diese hässlichen Dinger. Die sind furchtbar!«
    Schließlich hatte sein Mitbewohner Peter ihm erklärt, dass er sein Zimmer räumen müsse, wenn er die Miete nicht bezahlen konnte. Peter hatte mit Jean-Pierre darüber gesprochen. »Nächsten Monat«, sagte er. »Tut mir leid.«
    Dennoch hatte John, als er achtundvierzig Stunden nach dieser Unterhaltung vor dem ziemlich großen Eckhaus seiner Großmutter in Richmond stand, den Eindruck, zufällig dort gelandet zu sein; er war in Maida Vale zu einem Spaziergang aufgebrochen und dann auf dieses Haus gestoßen, das zwölf Kilometer weit weg war. Er hatte überhaupt nicht vorgehabt herzukommen.

    Helen James’ Eltern wohnten in einer ruhigen Straße am Fluss. Das Haus musste ein Vermögen wert sein, dachte John, als er das Gartentor aufstieß. Sein Unterkiefer schmerzte vor Anspannung. Das war ihm bisher nicht klar gewesen. Er war noch so klein, als er hier die Ferien verbracht hatte; er kam mit dem Taxi, spielte, wurde verwöhnt, guckte Fernsehen, langweilte sich und wurde dann wieder in ein Taxi gesetzt.
    Es nieselte aus dicken, trägen Wolken. John machte kehrt, ging wieder durch das Gartentor auf die Straße und lief dann hinter der Hecke auf dem Bürgersteig auf und ab. Er trat mit dem Fuß gegen die Gartenmauer. »Warum hast du immer Angst vor Menschen gehabt?«, hatte seine Mutter ihn gefragt, »Angst davor, um etwas zu bitten? Weil dir immer alles auf dem Silbertablett serviert worden ist«, sagte sie als Antwort auf ihre eigene Frage. »Ich habe Elaine gebeten«, murmelte er. Elaine hatte abgelehnt. John war noch nie gewalttätig geworden. Er wusste kaum, was Gewalt war. Ich werde gezwungen zu betteln, sagte er sich. Er trat nach einem Abflussrohr. Erst schicken sie mich nach Winchester, und dann muss ich betteln gehen. Sie bereiten mich auf eine hoch professionelle Karriere als

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