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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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weiter im Elend. Ich kenne die Dritte Welt, John, und da kann man gar nichts machen. Du kannst so aktiv sein, wie du willst, in der Dritten Welt ist etwas nichts. Nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Jacks Arbeit hat uns nach Gambia, Simbabwe und Nigeria geführt. Ich habe gesehen, was ich gesehen habe, und ich weiß, was ich weiß. Deine Mutter hat ihr Leben weggeworfen, weil sie die Dritte Welt retten wollte, und hat sich dabei selber ihren Platz in der einzigen Welt, die ihre war, verwehrt. In England, in London. Dem einzigen Ort, wo sie ihre Fähigkeiten tatsächlich sinnvoll hätte einsetzen können.«
    John nickte.
    »Und sie ist noch nicht mal Christin!«, fing Granny Janet wieder an. »Das hätte es erklärt, wenn deine Mutter Christin wäre, nicht wahr, mein Schatz? Dann hätte es einen Sinn gehabt. Wenn sie arme ignorante Seelen bekehrt hätte, damit sie in den Himmel kommen. Aber heutzutage ist ja kaum noch einer religiös, nicht wahr? Allerdings gibt es auch kaum noch Atheisten. Bist du Atheist?«, wollte sie wissen. »Natürlich nicht, Schätzchen. Du bist Wissenschaftler! Keiner glaubt wirklich , dass er in den Himmel kommt, oder? So ein Quatsch. Oder sonst wohin. Irgendwie sind wir alle Wissenschaftler, nicht wahr? Auch wenn wir rein gar nichts verstehen. Glaube und Unglaube gibt es nicht mehr. Das sind veraltete Begriffe. Entweder man weiß etwas, oder man weiß es nicht. Wozu also sein Leben an einen Haufen Wilder verschenken? Nur weil der gute Jack in den Sechzigern ein fürchterlicher alter Tory war, gegen die Gewerkschaften gekämpft hat und ein weißes Rhodesien unterstützt hat (im Nachhinein wirst du zugeben müssen, dass er recht hatte), hat deine Mutter beschlossen, aus reiner Opposition Sozialistin zu werden, und seitdem wollte sie uns alle nur noch bestrafen. Verstehst du? Besonders deinen Onkel Nick. Du kannst dir nicht vorstellen, wie betroffen er war, als sie mit ihm gebrochen hat.Bloß weil er einmal im Suff eine von Helens Freundinnen angegrabscht hat. Das hat sie ihm nie verziehen. Obwohl Jack 1997 die Labour Partei gewählt hat. Wusstest du das? Junkbond-Jack nannte man ihn an der Börse. Und er hat Labour gewählt!« Sie brach in Lachen aus. »Ich dachte, mich tritt ein Pferd!«
    Von dem tiefen Ledersofa aus schaute sich John die Performance seiner Großmutter an und fühlte sich an die Situation zwischen ihm und seiner Mutter am letzten Abend in Delhi erinnert. Da hatte ihn auf einmal eine ganz außergewöhnliche Spannung überwältigt, Lippen, Fingerspitzen und Ohren hatten heftig angefangen zu prickeln. Diese Spannung, dachte er jetzt, war immer noch da. Er saß immer noch bei seiner Mutter im Wohnzimmer. Wieso?
    »Glaubst du etwa, dein Vater hätte sein Leben in der Dritten Welt verbracht«, sagte sie jetzt, »wenn deine Mutter sich nicht dieser ruinösen Idee von internationaler Wohltätigkeit verschrieben hätte?«
    »Sie haben auch drei Jahre in Amerika gelebt«, wandte John schließlich ein.
    »Ja«, rief Granny Janet, »ja, das stimmt, und gerade als der Ärmste anfing, sich einen Namen zu machen, hat sie ihn wieder in den Busch geschleppt, weil es in einem entwickelten Land für sie nichts zu tun gibt. Jedenfalls nichts, was ihr das Gefühl gibt, eine Heilige zu sein. Diese Heiligkeit ist die reinste Perversion!«, erklärte Granny Janet. Sie ließ das Eis in ihrem leeren Glas rasseln. »Und wenn ich dir dieses Geld gebe, mein lieber Johnny, dann muss ich mich darauf verlassen können, dass es nicht zum Fenster rausgeschmissen wird.«
    John versuchte zu lächeln. »Granny Janet«, versprach er, »ich schwöre hoch und heilig, dass ich mir eine ordentliche Karriere in Biochemie aufbauen werde, hier in England oder höchstens in den USA, und sobald ich ein eigenes Einkommen habe, werde ich das Geld zurückzahlen.«
    »Obwohl« – seine Großmutter unterbrach sich, um durch geschürzte Lippen den Rauch auszublasen –, »wenn dein Vater auch nur ein Fünkchen Grips besessen hätte, dann hätte er dafür gesorgt, dass Helen ihm folgt und nicht umgekehrt. So wie Jack es bei mir gemacht hat. Es war immer glasklar, was meine Rolle war, obwohl ich, als wir uns kennenlernten, sogar mehr verdient habe als er. Hast du das gewusst? Ja, deine Großmutter verdiente als Sekretärin mehr als er mit seinem Job als Bankkaufmann oder was immer er damals war.«
    John schwieg. In einer hohen Glasvitrine tickte im Arm eines Porzellanengels eine Uhr. Das Zimmer war voll mit echten

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