Traeume von Fluessen und Meeren
Sie?«
Sie gab nach: »Einen Gin Tonic.«
»Aber wir schenken den Alkohol nur zusammen mit dem Sonntagsbrunch aus, Sir«, sagte der Kellner. »Wir haben nur eine Lizenz für den Sonntagsbrunch.«
»Na gut, dann servieren Sie uns einen Sonntagsbrunch!«
»Aber heute ist nicht Sonntag, Sir.«
Paul lachte. »Okay, dann nehme ich noch einen Kaffee.«
Aber Helen James sagte Nein, sie wisse, wo sie einen Drink bekommen könnten. »Und du darfst mich Helen nennen«, erklärte sie.
»Wir haben uns bei einem Abendessen kennengelernt, bei Freunden in Nord-London. Finsbury Park. Ich erinnere mich noch an den Weg von der U-Bahn-Station. Ich habe damals in der Notaufnahme der Royal-Free-Klinik in Hampstead gearbeitet. Das war meine erste Stelle.«
Helen hatte den Amerikaner in den Garten des India International Centre geführt. Paul hatte schon einmal hier gewohnt. Sie trank Wodka, er Scotch. »Zwei Stunden«, wiederholte sie. Die Atmosphäre war angenehm blumig; betriebsam, aber ruhig. Zwei, drei Bekannte hatten ihr zugenickt. Es waren jetzt über sechs Wochen vergangen seit Alberts Tod.
»Ich war damals politisch sehr engagiert. Das bin ich immer noch. Der Zugang zu Medikamenten war für mich immer genauso wichtig wie die Medikamente selbst. Alle debattierten über öffentlich versus privat, das war zu der Zeit die große Frage, entweder oder, niemand dachte über eine Kombination nach, und Albert saß nur still da und sagte gar nichts. Man nahm ihn eigentlich nur wahr, weil er so groß war und das zu verstecken versuchte, indem er sich krumm machte, sich auf seine Hände setzte und so weiter. Dann sagte er unvermittelt etwas im Sinne von: Wenn die charmante junge Dame sich tatsächlich so sehr um Menschen sorgt, die keine Behandlung bekommen, dann sollte sie konsequenterweise in Botswana sein und nicht in Hampstead. Und wenn die jungen Herren tatsächlich von der Perversität einer staatlichen Gesundheitsversorgung überzeugt sind, dann sollten sie vielleicht den nächsten Flug nach Dallas nehmen.«
Paul lächelte. »Als wäre er so etwas wie ein Schiedsrichter?«
»Albert hielt sich aus Diskussionen immer heraus und gab dann plötzlich einen Kommentar dazu ab. Er definierte die Positionen der anderen, meistens so, dass sie ein bisschen naiv klangen, und zog sich dann wieder zurück. Das konnte ganz schön beleidigend sein.«
»Also war er nicht nur rein und gut.«
»Er war außen vor.« Sie zuckte die Achseln. »Gut sein ist oft an sich schon eine Beleidigung.«
»Die Gute warst doch eher du, oder? Er hatte einfach kein persönliches Interesse in diesem Streit.«
»Wenn du meinst.«
»Aber er interessierte sich für dich.«
»Das hat eine Weile gedauert …« Helen hielt inne. »Aber um auf das Gespräch zurückzukommen: Ich sagte ihm, dass ich mich in der Tat schon nach Möglichkeiten erkundigt hätte, in die Entwicklungshilfe zu gehen.«
»Dann hattest du damals schon vor, ins Ausland zu gehen?«
Ihr Blick verdüsterte sich. »Ja, ja, das hatte ich. Das wollte ich. Aber sagen wir mal, es wurde realer, nachdem ich es zu Albert gesagt hatte. Also, ein Jahr später haben wir dann geheiratet und sind, wie du vermutlich weißt, gleich darauf nach Kenia gegangen …«
»Moment mal!« Paul hob eine Hand. »Du kannst nicht einfach so viel überspringen. Wie seid ihr ein Liebespaar geworden, wie habt ihr geheiratet, wie habt ihr entschieden, nach Kenia zu gehen?«
»Wir haben auf dem Standesamt geheiratet.«
»Das weiß ich. Bitte, erzähl mir ein bisschen von der Phase des Werbens. Habt ihr euch Liebesbriefe geschrieben? Musstet ihr andere, ähm, Beziehungen auflösen?«
Helen schaute den Mann an. Paul erwiderte ihren Blick. Ihr Gesicht war oval, aufmerksam, und die Augen blitzten imAbendlicht. Er konnte sie nicht ausmachen. Während sie redeten, bewegten sich weiß uniformierte Kellner mit indischer Förmlichkeit langsam zwischen den Tischen hin und her, an denen die gut situierten Bürger von Delhi in farbenprächtigen Saris saßen, Cocktails schlürften und sich selbstgefällig und angeregt unterhielten.
»Als wir zum ersten Mal miteinander ausgingen«, sagte sie schließlich, »hat er mich zu einem klassischen Konzert eingeladen. Albert mochte klassische Musik, aber ich musste zu einem politischen Treffen. Schließlich holte er mich zu Hause ab, fuhr mich zu meinem Treffen, ging dann alleine ins Konzert, und wir trafen uns anschließend wieder, damit er mich nach Hause bringen konnte. Ich weiß noch,
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