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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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gemacht.«
    Helen James brach in ein nervöses Lachen aus. »Bitte sehr, Herr Biograf, jetzt habe ich etwas gesagt, womit du nicht gerechnet hast. Ich habe ihn aus tiefstem Herzen geliebt, und er hat sich über mich lustig gemacht, er hat mich ermutigt und sich lustig gemacht. So. Genug davon. Ich möchte nicht, dass du dieses Buch schreibst. Du könntest Albert nicht gerecht werden.Andererseits«, und jetzt lächelte sie glaubwürdiger, »wäre es sehr nett, wenn du jetzt mit mir essen gehen würdest … Sir.«
    »Ich rufe uns ein Taxi«, sagte Paul.

    Inzwischen sprachen sie über Indien. Obwohl das Kastensystem nicht mehr so streng gehandhabt wurde, war die ihm zugrunde liegende Mentalität immer noch vorhanden, meinte sie, und rechtfertigte jede Form der Ungerechtigkeit. Ebenso wie die verrückte Vorstellung, man würde in der Gestalt wiedergeboren, die man verdient hatte.
    »Albert liebte die komplizierten Unterscheidungen zwischen den Kasten; wer was isst und zu welchem Anlass welche Kleidung trägt. Mir ist das zu viel. Ich habe versucht, die Geschichten ihrer Götter zu verstehen, aber ich kann es mir einfach nicht merken: Parvati, Shiva, die Ganesh den Kopf abhackt, Garuda, Shesa. Wie man ein solches Sammelsurium ernst nehmen kann, ist mir schleierhaft. Da sieht man, wo Bollywood herkommt. Albert fand das toll, die vielen Mythen und das ganz Tamtam. Aber er hat sich dem geistig nie unterworfen. Letztendlich hat er sich darüber auch lustig gemacht.«
    Sie hatte den Amerikaner in ein Restaurant in Vasant Vihar geführt, wo man drei Treppen zu einem kargen Raum hochstieg, in dem die Tische zu dicht beieinanderstanden und das Essen schlicht und scharf gewürzt war. Paul staunte über ihren Appetit. Sie hatte Lammfleisch und Bier bestellt. Es war, als wäre ihr plötzlich wieder eingefallen, wie man aß und trank. Sie war eine attraktive Frau, dachte er. Ihr Haar war noch dicht. Sie hielt sich aufrecht, die Brüste waren voll. Und sie schien alles mit Entschlossenheit zu tun: essen, trinken. Es wirkte eiskalt, fast brutal.
    »Ich habe Indien immer als beglückend und brutal zugleich empfunden«, sagte er unvermittelt. »Ich bin jedes Mal froh, hergekommen zu sein, aber noch froher, wenn ich wieder nachHause fliege, weißt du. Wenn ich in den Staaten aus dem Flugzeug steige, bin ich unheimlich erleichtert.«
    »Darüber kommt man hinweg«, sagte sie, »nach ein paar Jahren.«
    »Denkst du nie an zu Hause?«
    »Du meinst an England? Manchmal. Aber es hätte keinen Sinn zurückzugehen.«
    »Dein Sohn lebt dort.«
    Sie schien diese Bemerkung kaum wahrgenommen zu haben. »Wie wär’s, wenn du mir von deiner nächsten Frau erzählst?«, schlug sie vor. »Ich nehme an, es gibt wieder eine?«
    Paul lachte. »Wer ist hier unverfroren?«
    »Immerhin will ich kein Buch darüber schreiben, nicht wahr? Und du lässt deutlich durchblicken, dass du ein sinnlicher Mensch bist.«
    »Tue ich das?«
    »Ja.«
    »Es gibt niemanden«, sagte er.
    Helen schaute ihn von der Seite an. »Wie alt ist sie?«, fragte sie mit einem spöttischen Lächeln. »Oder hast du Angst, darüber zu reden?«
    »Also gut«, sagte er lachend. »Sie ist sechsundzwanzig. Amy.«
    »Ha! Ein Altersunterschied von – wie viel – fünfzehn Jahren?«
    »Du schmeichelst mir. Siebzehn.«
    »Und sie fehlt dir nicht?«
    »Wir schreiben uns täglich E-Mails.«
    »Dann ist es also ernst.«
    Er zuckte die Achseln. »Es macht Spaß.«
    »Was nach deinen Maßstäben etwas Ernstes ist.«
    Paul überlegte. »Eine Sache hat mich an Indien immer erstaunt, nämlich dass es trotz seiner unglaublichen Lebendigkeit nicht sehr sexy ist, oder? Die Frauen sind hübsch, aber mandenkt nicht an Sex, wenn man sie anschaut. Sie sind so vermummt und in sich gekehrt.« Er zögerte. »Vielleicht freue ich mich deshalb so, wenn ich wieder zurückkomme.«
    »Zu deinem stürmischen Liebesleben.«
    »Wir wollen nicht übertreiben.«
    »Du hast selbst gesagt, dass du triebhaft bist.«
    »Habe ich das?«
    Helen runzelte die Stirn. »Albert fand, eins der Probleme im Westen bestünde darin, dass die Leute nicht so sehr ein Leben als vielmehr ein Liebesleben haben. Verstehst du? Sie begegnen und paaren sich blind. Er fand es bewundernswert, wie kontrolliert die Beziehungen hier sind.«
    »Bewundernswert und belustigend?«
    »Genau. Bewundern und sich lustig machen waren für Albert eins.«
    »Aber wie kann das gehen?«
    »Keine Ahnung.«
    »Aber …«
    »Er hat es geschafft«, sagte Helen. »Je

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