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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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geduldig ins Leere. Seinen Namen hatte sie vergessen. Exotische Namen konnte sie sich schlecht merken. Seine Oberlippe war unglücklich gekräuselt, die Nase leicht abgeflacht, die Augen blickten gescheit unter hängenden Lidern hervor. Es war eine Regel der Klinik, Patienten, die ihre erste Behandlung abgebrochen hatten, nicht noch einmalaufzunehmen. Diese Bestimmung wurde jedem erklärt, der entlassen wurde. Und Helen wusste, dass auf der 25-Betten-Station bereits dreißig Menschen lagen. Sie seufzte. Der Junge lächelte matt und sagte etwas. Helen verstand ihn nicht. Seine Stimme war voller Schleim. »A-bet?« Das war eine Frage. Es folgten ein paar unverständliche Silben, und dann wiederholten die Lippen des kranken Jungen den wohlbekannten Namen. »A-bet?«

13
    Am folgenden Nachmittag saßen sie und Paul Roberts in einem Kaffeehaus am Khan Market. Die Klimaanlage lief auf Hochtouren, und Paul fröstelte leicht. Zum Ausgleich bestellte er Käsekuchen und aß mit einem Appetit, den Helen James kindisch fand.
    »Niemand will ein Buch über jemanden lesen, der vollkommen gut war«, erklärte sie ihm.
    Das genüssliche Essen machte Paul selbstsicher. »Na und?« Nachdem sie sich bereit erklärt hatte zu reden, würde sie es sich bestimmt anders überlegen.
    »Also hat eine Biografie von Albert keinen Sinn. Sie wäre ein Flop.«
    »Gandhi wurde im Allgemeinen für vollkommen gut gehalten, aber ich bin nur einer von vielen, die über ihn geschrieben haben. Die Verkaufszahlen sind mehr als zufriedenstellend.«
    »Gandhis Leben war die Politik«, sagte sie. »Seine Gewaltlosigkeit war interessant, gerade weil er sich mitten ins Gefecht stürzte. Und jetzt prangt sein Gesicht auf jeder indischen Banknote. Aber Albert hat sich aus allen Kämpfen rausgehalten. Sein Gesicht wird nirgends zu sehen sein.« Ganz kurz zitterten ihre Lippen. Als sie heute Morgen in die Klinik gekommen war, hatte sie die vierjährige Shruti tot vorgefunden. »Das Einzige, was Sie machen könnten, wäre, eine Synthese seiner Theorien zu erstellen. Das wäre nützlich, und dabei hätten Sie meine volle Unterstützung.«
    »Ich bin kein Akademiker«, wandte Paul ein. »Ich möchte Albert der Öffentlichkeit vorstellen. Ich möchte, dass er die ihm gebührende Aufmerksamkeit erhält.«
    Helen nippte an ihrem Kaffee. »Sie wollen mit ihm Geld verdienen.«
    »Nein«, protestierte Paul. »Ich möchte den Leuten seine Art, die Welt zu erklären, nahebringen.«
    »Das werde ich aber nicht zulassen.«
    Paul Roberts zündete sich eine Zigarette an. Er sog den Rauch ein und setzte sein gewinnendstes Lächeln auf. »Bei allem Respekt, Sie können mich nicht daran hindern, das Buch zu schreiben. Oder ein Buch zu schreiben. Das Problem ist nur, dass es ohne Ihre Hilfe nicht so gut werden wird.«
    Er hielt die Zigarette neben sein Knie und beugte sich über den Tisch. Sein gerötetes Gesicht und die blauen Augen wirkten aufrichtig, ja eindringlich, und sein dickes lockiges Haar und der schwere Körper erweckten den Eindruck energischer männlicher Zuversicht.
    »Mrs. James.« Er hatte eine ziemlich kehlige Stimme. »Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen. Wie wäre es mit einer Beteiligung an dem Projekt? Das Andenken an Ihren Mann ist eine Art Erbe, finden Sie nicht? Sie sind im Besitz all seiner Texte. Das ist ein einzigartiges Gut. Lassen Sie uns zusammenarbeiten. Wir können uns über die Verteilung der Tantiemen einigen, und Sie dürfen alles vor der Veröffentlichung absegnen!«
    »Ich brauche kein Geld«, gab Helen zurück.
    Paul zog eine Augenbraue hoch. »Die Klinik?«
    »Die Klinik zahlt mir nichts.«
    »Das dachte ich mir. Wovon …«
    »Das geht Sie nichts an. Ich komme zurecht.«
    »Natürlich.« Er zögerte. »Dann wollen Sie also weiter dort arbeiten?«
    »Warum sollte ich nicht?«
    Paul hatte nicht mit einer solchen Themenverschiebung gerechnet. »Nun«, sagte er versuchsweise, »ich dachte, Sie würden vielleicht weggehen, weil sich etwas Wichtiges in Ihrem Leben verändert hat. Eine Veränderung zieht manchmal eine weitere nach sich.«
    »Albert hat in meinem Arbeitsleben keine Rolle gespielt«, sagte Helen James bestimmt, »jedenfalls nicht in den letzten zwanzig Jahren. Sein Tod hat daher mit meinem Job nicht das Geringste zu tun.«
    Paul klopfte die Asche von seiner Zigarette. »Ich dachte eher im Sinne von …« – er inhalierte erneut – »nun ja, von Gesellschaft. Weniger an den Job als solchen. Hier in Delhi …«
    »Bitte«, sagte

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