Traeume von Fluessen und Meeren
dass meine Mutter äußerst beeindruckt war, als er mich abholte, denn sie dachte, dieser Mann würde mich in ein klassisches Konzert mitnehmen, und außerdem sah Albert natürlich aus wie ein schlaksiger Akademiker.« Helen lachte. »Wir haben das oft so gemacht. Es ersparte mir, sagen zu müssen, wohin ich wirklich ging. Meine Eltern haben mir ziemlich die Hölle heiß gemacht wegen meines politischen Engagements.«
Paul schüttelte den Kopf. »Und dann?«
»Dann haben wir geheiratet und sind nach Kenia gegangen.«
»Bevor ihr euch geküsst habt?«
Helen seufzte. »Albert war ein wunderbarer Mann. Mehr sage ich dazu nicht.«
Paul biss sich auf die Lippe und kniff die Augen zusammen.
»Wie gesagt, wir standen in Kontakt mit einer Organisation vor Ort, die vorhatte, die medizinische Behandlung über die städtischen Regionen hinaus zu erweitern. Infektionskrankheiten waren das Hauptproblem. Die Idee war, etwa zweihundert Meilen außerhalb von Nairobi ein Behandlungs- und Impfzentrum aufzubauen und von dort aus mit einem Lastwagen Medikamente in die Dörfer zu bringen. Albert sollte Labortests zuden häufigsten Krankheiten durchführen, während ich direkt mit den Menschen arbeitete.«
»Aber wer von euch beiden hat letztendlich entschieden, dorthin zu gehen?«
»Ohne ihn wäre ich nicht gegangen.«
»Ich verstehe nicht ganz.«
Sie schien nachzudenken. »Albert war ein unglaublich liebevoller Mann. Manchmal kam es mir so vor, als sei er unnatürlich liebevoll. Aber es schien ihm zu gefallen, dass ich eher schroff und praktisch veranlagt war.«
»Vielleicht unnatürlich schroff und praktisch veranlagt.«
Helen lachte. »Das haben andere auch schon gesagt. Wie dem auch sei, was ich sagen will, ist, er hat mich ermutigt, zog es aber vor, im Hintergrund zu bleiben. Er war angetan von der Idee, nach Kenia zu gehen, aber wohl eher, um aus England wegzukommen, oder von seiner Familie, oder einfach um zuzuschauen, wie ich mache, was ich unbedingt machen wollte. Ich weiß nicht. Manchmal hatte man das Gefühl, selber eine Entscheidung getroffen zu haben, und ein paar Monate später kam es einem so vor, als habe Albert einen dazu gebracht, bloß indem er da war und zuschaute.«
Wieder blitzten ihre Augen im Licht. Sie hob eine Hand und fummelte an dem Band herum, mit dem ihr Haar zusammengebunden war. Das Haar war honigblond mit grauen Strähnen. Das Band war grün. Als sie es zurechtgerückt hatte, sagte sie in völlig verändertem Tonfall: »Bestell mir noch etwas zu trinken.«
Der Amerikaner gehorchte sofort.
»Und wie war die Arbeit in Kenia?«
»Dazu gibt es nicht viel zu sagen, außer dass es sehr, sehr viel war; ein endloser Strom von Menschen mit allen möglichen Beschwerden, und wie immer an solchen Orten war diese Arbeit auch mit allen möglichen politischen Problemen verbunden, allen möglichen Hindernissen, mit Unverständnis undBoshaftigkeit: Banden versuchten, etwas abzustauben und die Vergabe der wenigen Betten zu kontrollieren, die wir hatten, wollten uns vorschreiben, mit wem wir arbeiten durften und mit wem nicht. Es war ein ständiger Kampf. Wir waren immer am Rande der Erschöpfung.«
»Und wie hat Albert das alles empfunden? Ich meine, er kam aus der Wissenschaft, nicht aus der medizinischen Praxis.«
Die Drinks wurden gebracht. Helen trank ihren sofort halb aus. »Ich hasse die Krähen in diesem Land«, verkündete sie. Die Vögel ließen sich nach und nach auf dem Rasen nieder, als die Dunkelheit anbrach. »Albert ging an alles intellektuell heran. Er arbeitete aus Neugier, nicht wegen der Arbeit an sich. Am meisten Spaß machte es ihm, die Sprache zu lernen. Ich kenne sonst niemanden, der so viel in einer fremden Sprache versteht, obwohl er selber so wenig spricht. Albert war wie ein Schwamm. Er wollte sogar, dass wir zu Hause Suaheli sprachen, obwohl ich gerade mal gelernt hatte zu fragen, wo es wehtut. Er hat immer zu gern die Landessprachen gesprochen, selbst wenn er die meiste Zeit nur geraten hat, worum es ging. Und er hat immer mit starkem englischem Akzent gesprochen.«
»Es kam also durch das Sprachenlernen, dass er von der Entwicklungshilfe zur Anthropologie wechselte.«
»Kann sein.« Helen ließ ihren Blick durch den Garten schweifen. Ihr Kinn fiel nach unten. »Eigentlich« – sie wandte sich ihm wieder zu und griff nach ihrem Glas –, »eigentlich hat Albert sich immer über mich lustig gemacht. In gewisser Hinsicht. Er hat mich bewundert … und sich über mich lustig
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