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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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ihn dort schon gesehen.«
    »Und was macht er da?« Paul fühlte sich ebenfalls sehr wohl. Dieses geheimnisvolle Video anzuschauen war viel einfacher als die Unterhaltung zuvor.
    »Sieh nur.«
    Der Mann starrte in seine schmutzige Plastikschale. Aber diesmal lächelte er, als er aufblickte. Er setzte die Schüssel ab, griff in seine Tüte und holte eine alte Tabaksdose hervor. Die Kamera versuchte nicht zu zoomen, bewegte sich aber leicht, als der Mann sich auf dem aufgebrochenen Pflaster hinhockte. Er nahm eine Pinzette aus der Dose, beugte sich über die Schale und fischte ganz vorsichtig etwas heraus. Das Etwas glitzerte kurz, als er es in die Dose legte, sie schloss und sich wieder daranmachte, den Schlamm im Rinnstein zu durchsuchen.
    »Was sollte das denn?«
    »In der Gegend sind viele Goldschmiede und Juweliere. Manche Männer durchsuchen die Rinnsteine nach Gold, denn ab und zu landen anscheinend versehentlich kleine Körnchen und Krümel im Abfluss.«
    »Das ist ja Wahnsinn.«
    »Wer sucht, der findet. Ich schätze, sie verkaufen es dann wieder an die Läden.«
    Die Kamera war immer noch auf den Mann gerichtet, der sich mit der gleichen Sorgfalt wie vorher wieder an die Arbeit gemacht hatte. Die Minuten vergingen. Paul wandte kurz den Kopf und sah, dass Helen sehr konzentriert auf den Bildschirm schaute.
    »Woran denkst du?«, fragte er.
    »An Albert, der hinter der Kamera steht.«
    Der Mann unterbrach seine Tätigkeit und hockte sich hin, um sich eine Zigarette anzuzünden. Er grinste und rief derKamera etwas zu. Offenbar bot er eine Zigarette an. Man hörte keine Reaktion. Dann hörte die lange Einstellung ebenso unvermittelt auf, wie sie begonnen hatte. Es gab ein Paar Sekunden Durcheinander, dann erschien ein neues Bild. Diesmal von einem Jungen, der auf dem Sandboden hockte und eine Hand hinter seinen Rücken hielt.
    »Murmeln«, sagte Paul lächelnd. »Murmeln habe ich seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen.«
    Der Junge rollte sie in ein etwa drei Meter entferntes Loch. Er hatte einen ganzen Plastikbecher voll davon. Die bunt gemusterten Glaskugeln kullerten unstet über den holperigen Boden. Der Junge feuerte sie an. Er ebnete einen Buckel, indem er die Erde mit der Hand aufbrach und dann mit den Füßen glatt trampelte. Im Hintergrund gingen Leute durch einen breiten Eingang oben an einer Freitreppe ein und aus.
    »Die Bewegung ist ähnlich wie bei dem Typen, der den Schlamm durchsucht hat«, bemerkte Paul. »Dieser leichte Armschwung, wenn er die Murmel wirft. Und die Aufmerksamkeit, die auf den Boden gerichtet ist, auf die Erde.«
    »Kann sein.«
    Als schließlich eine Murmel kurz am Rand des Loches verweilte und dann hineinfiel, wandte der Junge sich der Kamera zu und zeigte lachend auf das Loch.
    »Bilder von Erfolgserlebnissen?«
    »Ich spule mal vor«, sagte Helen.
    Es musste ungefähr eine Viertelstunde Material von diesem sehnigen Jungen mit den Murmeln sein. Dann begann eine neue Sequenz: Dieses Mal kniete eine junge Frau bei den Ghats am Wasser und schrubbte an einem Laken, dass auf den Steinen ausgebreitet war. Sie benutzte zum Schrubben ein Stück Seife. Wieder die gleiche energische Armbewegung. Sie hielt inne und goss Wasser aus einem Eimer auf den Stoff; im oberen Teil des Bildes floss die schlammige Yamuna dahin. Das Mädchen fing erneutan zu schrubben. Die Bewegung ihres schlanken Armes, der in einer Schicht von Seifenschaum über das Laken glitt, war rhythmisch und elegant.
    »Diesmal gibt es kein Ziel, kein Gold oder Loch.«
    »Weiße Wäsche«, sagte Helen. »Reinheit.«
    Die Kamera blieb auf dem Körper des Mädchens, der sich in einem dunklen Sari hin und her wiegte. Dann wandte auch sie sich der Kamera zu und lächelte. Paul erkannte das Mädchen, das ihnen an diesem Abend das Essen serviert hatte. Sie trug das gleiche grüne Bindi.
    »Das ist dein Dienstmädchen, das heute bei Tisch serviert hat.«
    »Vimala. Ihr Vater hat eine Wäscherei.« Helen stoppte das Video. Suchen wir uns ein anderes aus. Das hier ist langweilig.«
    »Mir hat es gefallen«, sagte Paul. »Ich weiß nicht, warum. Ich fand es irgendwie entspannend.«
    »Anderen beim Arbeiten zuzuschauen?«, fragte Helen trocken. »Das war Alberts Leben.«
    »Hat was Hypnotisierendes. Man bekommt ein Gefühl für ihre Präsenz.« Er nahm ihr eine andere Kassette aus der Hand und ging zum Rekorder, um sie einzulegen.
    »Hatte er keinen DVD-Spieler?«
    »Vor ein paar Monaten hat er zu irgendeiner Computertechnik

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