Traeume wie Samt
Daumenschrauben angelegt habe, als er glaubte, sterben zu müssen. Aus früheren Erfahrungen mit Leon weiß ich, daß es keine andere Möglichkeit gibt, mit ihm zurechtzukommen.«
Molly schwieg für einige Minuten. Harry fragte sich, was sie dachte. Vielleicht gefiel ihr die Art nicht, wie er mit seinen Verwandten umging.
»Ich weiß, es geht mich nichts an«, begann Molly nach einer Weile. »Aber würde es dir etwas ausmachen, mir zu verraten, womit du Leon in der Hand hast? Hat er wirklich Angst, daß du seinem Ansehen bei Josh schadest?«
»Ja.«
»Warum glaubt er, daß du die Möglichkeit dazu besitzt? Vorausgesetzt, du würdest so etwas tun?«
Harry dehnte die Hände, die am Lenkrad lagen. Molly besaß ein Recht, es zu erfahren, überlegte er. Vielleicht hatte er sie deshalb in der vergangenen Nacht gebeten, ihn in Leons Zimmer zu begleiten. Vielleicht wollte er die Wahrheit mit ihr teilen. »Leon und ich haben ein Geheimnis. Wir wissen als einzige Menschen auf der Welt, daß Joshs Vater sterben mußte, weil der für sein Motorrad verantwortliche Mechaniker am Abend vor Willys letztem Stunt versäumt hat, die Maschine gründlich zu überprüfen. Mit den Benzinleitungen stimmte etwas nicht. Hätte der Mechaniker seine Aufgabe ernstgenommen, wäre ihm der Fehler aufgefallen.«
Molly drehte sich in ihrem Sitz. »Wer war Willys Mechaniker?«
»Leon.«
»Das dachte ich mir. Was ging schief? Warum hat Leon die Maschine nicht überprüft?«
»Weil er damit beschäftigt war, sich in einem Motelzimmer mit der Frau des Sheriffs zu vergnügen.«
Molly machte ein betroffenes Gesicht. »Ich erinnere mich, daß du erzählt hast, Leon wäre im Gefängnis gewesen, als Willy starb.«
»Das stimmt. Gegen zehn Uhr morgens hat der Sheriff ihn verhaftet. Willy starb um ein Uhr am frühen Nachmittag.«
»Wie hast du herausgefunden, daß Leon seinen Job als Mechaniker vernachlässigt hat?«
Harry konzentrierte sich auf die Straße. »Weil ich das Wrack nach dem Unfall untersucht habe. Als ich die Überreste der Maschine begutachtete, wußte ich, daß etwas mit den Benzinleitungen nicht gestimmt hatte.«
Molly warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Du wußtest es einfach?«
»Ich habe mich lange mit den Wrackteilen beschäftigt, die nach der Explosion noch vorhanden waren«, antwortete Harry vorsichtig.
»Du hattest eine deiner Einsichten?«
»So könnte man sagen.«
»Ist so etwas auch an dem Tag passiert, als deine Eltern ermordet worden sind?« fragte Molly sanft. »Als du ihr Boot sahst und das der Mörder, wußtest du, daß etwas Furchtbares geschehen war, nicht wahr? Und deshalb bist du sofort getaucht?«
Harry stockte der Atem. »Josh hat mit dir gesprochen?«
»Ja.«
Er umgriff das Lenkrad so fest, daß er sich unwillkürlich fragte, warum es nicht zerbrach. »Wenn ich nur ein paar Minuten früher dagewesen wäre …«
»Nein«, unterbrach Molly ihn ruhig. »Du hattest mit ihrem Tod nichts zu tun. Du bist nicht für das Geschehen verantwortlich, Harry. Die Frage Was wäre wenn stellt sich oft im Leben. Antworten zu suchen ändert gar nichts.« Harry fiel nichts ein, was er darauf hätte sagen können. »Auf der anderen Seite bist du ein Mann, der die meisten Fäden seiner Welt fest im Griff hat«, fuhr Molly fort. »Doch einige entziehen sich deiner Einflußnahme eben, Harry. Diese einfache Tatsache mußt du akzeptieren, oder du treibst dich selbst in den Wahnsinn.«
»Manchmal frage ich mich, ob ich nicht längst auf dem Weg dorthin bin.« Zum erstenmal, wurde Harry bewußt, gestand er seine tiefste Angst ein. Sofort wurde die Bedrohung realer.
»Sei nicht albern.« Molly lächelte leicht. »Das war metaphorisch gemeint. Wenn du noch darüber nachdenken kannst, ob du vielleicht wahnsinnig wirst, bist du es sehr wahrscheinlich nicht. Verrückte stellen sich keine Fragen über ihren Geisteszustand. Sie halten sich für die einzig Normalen. Deshalb sind sie verrückt.«
»Das ist eine interessante Haltung zum gegenwärtigen Stand der klinischen Psychologie«, kommentierte Harry trocken.
Molly berührte seine Schulter. »Erinnerst du dich, was du in Illusionen der Gewißheit geschrieben hast? ›Absolute Gewißheit ist die größte aller Illusionen.‹«
»Ich erinnere mich. Aber was zum Teufel hat das hiermit zu tun?«
»Totale Kontrolle ist eine Illusion, Harry. Die größte von allen. Du bist nicht für alles und jedes verantwortlich. Du bist einfach ein Mensch.«
14
Nachdem sie durch die
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