Traeume wie Samt
Wohnungstür getreten waren, ging Harry geradewegs in sein Arbeitszimmer. Molly dachte mit Vorfreude an eine heiße Dusche und eine stärkende Tasse Tee, während sie ihm gähnend folgte. Sie lernte seine Lebensgewohnheiten langsam kennen, und in den vergangenen Tagen war deutlich geworden, daß diese besondere Routine unumstößlich war.
Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte sie in der Tür zu Harrys Heiligtum und beobachtete ihn. Er spielte die Anrufe zurück, die auf seinem privaten Anschluß eingegangen waren. Drei Nachrichten zeigte der Anrufbeantworter. Molly wußte, daß sie während der vergangenen Nacht aufgesprochen worden waren. Es erstaunte sie nicht sonderlich, als sie mitbekam, daß alle drei von den Strattons stammten.
»Harry? Hier ist Brandon. Wo zum Teufel bist du? Ruf zurück, sobald du nach Hause kommst. Ich muß dringend mit dir sprechen. «
Der Recorder surrte weiter und piepte.
»Hier ist Tante Danielle, Harry. Ruf mich sofort an. «
Es folgte ein weiterer Signalton.
»Harry, hier ist Gilford. Wenn du deine Anrufe mithörst, nimm sofort den Hörer ab. Solltest du nicht da sein, ruf mich zurück, sobald du diese Nachricht erhältst. Wo zum Teufel bist du? Es ist halb acht Uhr morgens! «
Der Anrufbeantworter gab einen Ton von sich, um das Ende der Aufzeichnungen zu signalisieren. Harry drückte auf die Rückspultaste, sah auf seine Armbanduhr und griff nach Stift und Papier.
»Darf ich dir einen Rat geben?« fragte Molly leise.
Harry sah nicht von seinen Notizen auf, aber eine schwarze Braue hob sich fragend. »Und zwar?«
»Du hast dich in den vergangenen Stunden genug mit Familienproblemen herumgeschlagen. Gönne dir zuerst einmal etwas Ruhe.«
Harry verzog den Mund. »Das ist die andere Familie.«
»Nein, es ist dieselbe. Deine Familie. Harry, du hast eine lange Nacht mit wenig Schlaf hinter dir. Nimm eine Dusche. Trink eine Tasse Kaffee. Du kannst später zurückrufen. Sehr viel später.« Molly schwieg. »Vielleicht heute nachmittag oder morgen. Nächste Woche wäre ein guter Zeitpunkt.«
Langsam legte Harry den Stift hin und sah Molly an. »Was soll das heißen?«
»Es heißt, daß du das Recht besitzt, dich selbst eine Zeitlang an die erste Stelle zu setzen.« Sie streckte die Hand aus. »Komm. Laß uns duschen.« Molly blieb das Zögern in seinem Gesicht nicht verborgen. Doch dann nahm Harry zu ihrer tiefen Erleichterung ihre Hand und ließ sich in den Flur hinausführen.
Um fünf Uhr an diesem Nachmittag drehte Molly das Schild im Ladenfenster um, auf dem Geschlossen stand, und stöhnte laut auf. »Mir reicht es für heute, Tessa. Ich werde bei meinem Haus vorbeifahren, um nach dem Rechten zu sehen und einige frische Sachen zum Anziehen mitzunehmen. Dann fahre ich direkt zu Harry. Ich freue mich darauf, meine Füße hochzulegen und ein Glas gut gekühlten Chardonnay zu trinken.«
»Tatsächlich?« Tessa zeichnete sich die Lippen in dunklem Braun nach.
»Um die Nächte durchzumachen und am nächsten Tag mein normales Arbeitspensum zu schaffen bin ich zu alt. Ich verstehe nicht, wie du das kannst.«
»Nur wegen der Musik.« Tessa trat um den Tresen und ließ den Lippenstift in eine riesige Ledertasche fallen. »Sie gibt mir Energie. Wie lange wirst du noch bei T-Rex bleiben?«
»Ich weiß es nicht.« Molly beobachtete eine Gruppe Touristen, die die breiten Stufen zur First Avenue hinaufstiegen. »Um die Wahrheit zu sagen, bereitet mir die Situation langsam Sorgen. Mir ist, als wäre ich weder hier noch dort.«
»Ich habe mir auch schon Sorgen über deine Lage gemacht. Ich verstehe, daß du nicht in deinem Haus bleiben willst, aber vielleicht solltest du besser zu deiner Tante ziehen. Mir gefällt es nicht, daß du bei Trevelyan lebst. Das ist nicht dein Stil.«
Molly sah Tessa erstaunt an. »Was heißt das nun wieder, verflixt? Du liegst mir seit Monaten in den Ohren, daß ich mir ein Liebesleben anschaffen soll.«
»Hast du denn eines? Ein Liebesleben?« Tessas kräftig geschminkte Augen nahmen einen altmodischen Ausdruck an, der in seltsamem Kontrast zu ihrem Nasenring, dem neongefärbten Haar und den klirrenden Armketten stand. »Oder geht es nur um Sex?«
Die Frage übte eine seltsame Wirkung auf Molly aus. Sie fühlte sich, als schwebte sie plötzlich frei im Weltraum. In der schwerelosen Umgebung zitterte sie im Innersten. »Das wüßte ich selbst gern.«
»Verdammt. So etwas habe ich befürchtet.«
»Tessa, es ist nach fünf. Du hast
Weitere Kostenlose Bücher