Traeume wie Samt
Tauchgeschäft auf einer der kleineren Inseln Hawaiis.«
»Ja, das weiß ich.«
»An jenem Tag schlossen sie ihr Geschäft für einen Nachmittag und gingen selbst tauchen. Sie wollten eine unter Wasser liegende Lavahöhle erforschen, die sie einige Wochen vorher entdeckt hatten. Als sie den Eingang untersuchten, wurden sie von zwei Männern überrascht und getötet, die ihnen nach unten gefolgt waren.«
»O Gott«, flüsterte Molly. »Aber warum haben die Männer sie ermordet?«
»Onkel Sean und Tante Brittany waren zur falschen Zeit am falschen Ort. Drei Tage früher war bei einem bewaffneten Überfall in Honolulu ein Geldtransporter ausgeraubt worden. Die Mörder hatten ein Vermögen an Wertpapieren in der Höhle versteckt. Ich vermute, sie wollten abwarten, bis sich die Aufregung gelegt hatte, bevor sie das Zeug an die Oberfläche zurückbrachten. Sie gaben sich als Touristen aus und hatten ein Boot mit Tauchausrüstung gemietet.«
»Und als sie Harrys Eltern in der Umgebung der Höhle tauchen sahen, nahmen sie an, es wären Polizisten oder Diebe, die zufällig von dem Versteck erfahren hatten?«
»Wahrscheinlich.« In einer müden Geste, die Molly an Harry erinnerte, rieb Josh sich den Nacken. »Sie folgten Harrys Eltern unter Wasser, in die Höhle, und erschossen sie mit Harpunen von hinten. Onkel Sean und Tante Brittany besaßen nicht die geringste Chance.«
Molly schloß die Augen. »Wie furchtbar.«
»Ja.« Josh schwieg. »Harry erschien wenige Minuten nach dem Mord am Schauplatz.«
»O nein …«
»Er war gerade zu einem Besuch auf der Insel angekommen. Er ging zum Laden und erfuhr dort, daß seine Eltern für den Nachmittag geschlossen hatten, um in der Nähe des alten Lavaflusses zu tauchen. Harry beschloß, sie zu überraschen. Er nahm ein Boot und eine Tauchausrüstung und fuhr los, um sie zu begrüßen.«
Molly konnte kaum atmen. »Er hätte selbst getötet werden können.«
»Ja. Aber die Sache ging anders aus. Am Ende waren die beiden bewaffneten Autoräuber tot.«
»Wie kam das?«
Josh hob den Blick, um Molly anzusehen. »Harry hat sie getötet.«
»Was?« Molly war wie betäubt. »Ist das wahr?«
»Ja«, antwortete Josh. »Es ist die Wahrheit. In der Nacht, als er den Alptraum hatte, erzählte Harry mir, was geschehen war. Nachdem er das Boot seiner Eltern entdeckt hatte und das andere Boot daneben ankern sah, wußte er, daß etwas nicht stimmte. Er legte die Tauchausrüstung an, nahm eine Harpune und schwamm nach unten, um herauszufinden, was los war. Die Mörder kamen gerade aus der Höhle zurück. Offensichtlich hofften sie, daß die Haie sich um die Vernichtung der Beweise kümmerten. Harry sagte …«
»Was sagte er?« fragte Molly sanft nach.
Josh runzelte die Stirn, als suchte er nach Worten. »Er sagte, es habe ausgesehen, als wäre das ganze Meer rot gefärbt. Er habe sich gefühlt, als würde er in einem Ozean aus Blut schwimmen. Und er sagte, schon bevor er die Körper seiner Eltern gefunden habe, habe er gewußt, was geschehen sei.«
Mollys Magen begann sich zu drehen. »Ich glaube, ich kann mir nicht einmal annähernd vorstellen, wie furchtbar das für ihn gewesen sein muß.«
»Er stieß auf die Mörder. Aber im Gegensatz zu Onkel Sean war er vorbereitet. Er wußte, daß etwas nicht stimmte. Es gab einen Kampf. Doch Harry ist schnell. Sehr schnell.«
»Harry hat die beiden Männer getötet?«
»Ja. Beinahe wäre er selbst dabei umgekommen. Einer der Mörder hat ihm während des Kampfes offenbar den Luftschlauch durchtrennt. Bevor die Haie kamen, brachte Harry die Körper seiner Eltern an die Oberfläche, aber es war zu spät. Sie waren beide tot.«
Molly drängte die Tränen zurück. »Mein Gott, wie schrecklich.«
»Ich glaube nicht, daß Harry sich jemals verziehen hat«, sagte Josh. »Und deshalb grübelt er so häufig, nehme ich an, verstehen Sie? Olivia hat behauptet, er leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung.«
»Das verstehe ich nicht. Es war eine furchtbare Tragödie, aber warum gibt Harry sich die Schuld?«
»Ich glaube, er kann es sich nicht verzeihen, daß er zu spät gekommen ist, um seine Eltern zu retten.« Josh trank den letzten Schluck Kaffee. »In der Nacht, als ich ihn auf der Bettkante fand, sagte er mir, seine Eltern könnten noch leben, wenn er nur ein paar Minuten früher gekommen wäre. Ein ums andere Mal wiederholte er, daß er zu spät gekommen sei.«
Um halb fünf Uhr morgens öffnete Harry die Augen und bemerkte den
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