Traeume wie Samt
das Gesicht. »Keines von beiden. Ich habe einfach die persönliche Handschrift eines Menschen gedeutet. Dessen Wut und Wahnsinn waren darin deutlich zu erkennen.«
»Du hast es gesehen, aber ich wette, daß außer dir nur wenige Menschen dazu in der Lage sind. Was geschah mit dem amoklaufenden Erfinder?«
»Er wurde gefaßt, als er versuchte, die Sendung mit dem explosiven Material bei der Post aufzugeben«, sagte Harry abwesend.
Molly lächelte. »Er wurde gefaßt, weil du aus den Skizzen etwas über seine Pläne ableiten konntest und die Polizei ihn dadurch auf frischer Tat ertappte, stimmt’s?«
Harry zuckte mit den Achseln. »Man hatte mich gebeten, meine Meinung zu den Zeichnungen zu äußern. Ich sagte der Polizei, daß der Mann mit ziemlicher Sicherheit beabsichtigte, mit seiner Konstruktion jemanden zu töten. Und daß die Sache wahrscheinlich funktionieren würde, nach der gekonnten Ausführung der Skizzen zu urteilen.«
»Meine Güte, was für ein aufregendes Leben du führst, Harry.«
»Nein. Bis du aufgetaucht bist, hatte ich ehrlich gesagt ein ziemlich friedliches Dasein.«
Molly lächelte. »Das glaube ich dir nicht eine Sekunde.«
»Um offen zu sein«, erklärte Harry freimütig, »ich kann gut ohne diese zusätzliche Aufregung leben, die du mir eingebracht hast. Unglücklicherweise wird kaum wieder Ruhe einkehren, bevor Kendall gefaßt ist.«
»Sie werden ihn finden«, sagte Molly zuversichtlich. »Du hast doch gehört, was der Detective meinte, mit dem wir gestern sprachen. Sie spüren ihn auf, nachdem sie nun wissen, daß er tatsächlich gefährlich ist. Möchtest du jetzt über unsere Hochzeitspläne reden?«
Harry verschluckte sich beinahe an einer Muschel. Seit Molly in der vergangenen Nacht davon gesprochen hatte, erwähnte sie das Thema zum erstenmal. Er umfaßte seine Tasse und nahm einen tiefen Schluck Eistee.
Besorgt runzelte Molly die Stirn. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Ja.« Er trank noch einen Schluck Tee und stellte die Tasse zurück. Dann räusperte er sich. »Ich habe an etwas Einfaches gedacht. Las Vegas vielleicht.«
»Ich dachte an etwas Großes und Repräsentatives«, sagte Molly.
Harry betrachtete sie gequält. »Hast du viele Freunde, die du einladen könntest?«
»Ja. Und dann gibt es alle diese Strattons und Trevelyans.«
Harry hob die Brauen. »Machst du Witze? Die Strattons und die Trevelyans würden nicht einmal lange genug in einem Raum zusammensitzen, damit der Prediger die magischen Worte sprechen kann.«
»Hm.«
»Vergiß die pompöse Hochzeit. Wir werden uns mit einer standesamtlichen Trauung oder Las Vegas begnügen müssen. Du kannst wählen.« Harry schwieg. »Natürlich nur, wenn es dir noch immer ernst ist damit.«
»Oh, mir ist es sehr ernst«, versicherte Molly ihm.
Harrys Magen beruhigte sich. Er aß seine letzten Muscheln mit einem seltsamen Gefühl der Erleichterung.
Am folgenden Abend saß Molly allein in Harrys Wohnzimmer und lauschte auf die Stille. Es war eine unnatürliche Ruhe, vielsagend und ahnungsvoll.
Olivia befand sich in Harrys Arbeitszimmer. Seit beinahe zwanzig Minuten war sie dort mit ihm allein, hinter fest geschlossener Tür. Nachdem sie klargestellt hatte, daß sie mit Harry allein sprechen wollte, hatte Molly sich zurückgezogen. Harry erschien nicht erfreut über die Aussicht einer privaten Unterredung mit seiner Exverlobten, aber er hatte die Situation mit der üblichen Unerschütterlichkeit akzeptiert.
Molly beobachtete, wie die späte sommerliche Abenddämmerung der Nacht wich, während sie an Olivia und Harry dachte. Es war schwierig zu erkennen, was Harry mit seiner Exverlobten verbunden haben könnte, außer daß beide einen Doktortitel besaßen. Molly fand den Gedanken seltsam, wie jemand mit einer Begabung für innere Erkenntnis einen solchen Fehler hatte begehen können. Harry schien ein Talent dafür zu besitzen, sich jedesmal in den eigenen Fuß zu schießen, wenn er versuchte, seine intellektuellen Fähigkeiten auf Gefühlsbereiche anzuwenden. Molly blickte auf die Uhr. Weitere fünf Minuten waren vergangen. Sie widmete sich wieder dem Buch, das sie zu lesen versucht hatte.
Da wurde die Arbeitszimmertür geöffnet. Molly legte einen Arm auf die Sofalehne und wandte den Kopf um. Olivia kam auf sie zu. Von Harry war nichts zu sehen.
»Ist das Gespräch beendet?« fragte Molly höflich.
»Ja. Es war eine Familienangelegenheit.«
Molly nickte. »Damit hat Harry viel zu tun.«
Olivia runzelte die
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