Traeume wie Samt
Bewohner beherbergte, blieb Harry stehen. Er atmete tief ein und erlaubte den Erinnerungen an die vergangene Nacht, ihn mit Wärme zu erfüllen. Molly wollte ihn. Sie fürchtete sich nicht vor der Dunkelheit in ihm. Sie hatte ihn gebeten, sie zu heiraten. Sie wollte Kinder mit ihm. Harry ließ dieses Bewußtsein in seine Seele einsinken. Flammen flackerten in der Dunkelheit. Er sah noch eine Zeitlang in das Aquarium, dann wandte er sich ab und verließ die düsteren Bereiche der Unterwasserwelt.
Draußen, im strahlenden Sonnenschein, wartete Molly auf ihn. Harry blieb am Eingang stehen und betrachtete sie mit einem Gefühl des Staunens. Molly lehnte an der Pierbrüstung, und das honigfarbene Haar umtanzte ihr lebhaftes Gesicht. Als sie ihn zwischen den Joggern, Touristen und Büroangestellten mit den Lunchpaketen entdeckte, lächelte sie ihm freundlich entgegen. Nachdenklich beobachtete Harry, wie sie winkte und ihm mit der freudigen Erregung einer Geliebten entgegenkam. Nicht nur einer Geliebten, dachte er. Molly war seine zukünftige Frau.
»Da bin ich, Harry.«
Ein undefinierbares Gefühl durchflutete ihn. Als es sich zurückzog, hinterließ es Spuren einer tiefen Verwundbarkeit. Aber aus einem seltsamen Grund löste die Erfahrung nicht mehr dieselbe Panik in ihm aus wie noch vor wenigen Tagen.
»Ich sterbe vor Hunger«, sagte Molly atemlos, als sie ihn erreicht hatte.
»Ich auch.« Harry nahm ihren Arm und führte sie zu einem Straßencafé.
»Stimmt etwas nicht?« fragte sie.
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Was soll das heißen?« Sie sah ihn fragend an. »Harry? Was ist los?«
»Wahrscheinlich nichts.«
»Hm. Du hattest wieder eine deiner Einsichten, nicht wahr?«
»Vielleicht. Ich erzähle dir die Einzelheiten, wenn wir die Muscheln und Kartoffelchips bekommen haben.« Harry stellte fest, daß er sich nicht länger über Mollys Sensibilität wunderte. Irgendwann in der letzten Zeit hatte er akzeptieren gelernt, daß Molly seine unterschiedlichen Gemütszustände beinahe immer erkannte. Sie wußte, ob er einfach nur nachdenklich war oder ob ihn eine ernsthafte Sorge quälte. Nicht einmal seine Eltern hatten ihn so gut verstanden wie Molly. Niemand. Ein unheimlicher Gedanke.
Zehn Minuten später saßen sie an einem kleinen, runden Tisch, der durch eine dekorative, niedrige Absperrung vom vorbeifließenden Verkehr getrennt war. Harry träufelte Malzessig über seine gebratenen Muscheln und überlegte, wo er anfangen sollte.
»Ich bin Kendalls Notizbuch durchgegangen.«
»Hast du etwas Interessantes gefunden?«
»Nicht mehr, als wir bereits entdeckt haben. Ich habe mir jede Seite des Heftes angesehen. Es gibt keine Hinweise, daß er außer diesen Zeichnungen für die verdammten Scherzartikel noch weitere Pläne hatte, dich zu terrorisieren.«
»Keine Notizen über seine Rachegefühle?«
»Nichts in der Richtung. Die kurzen Beschreibungen für die Pistolenattrappe und das Gespenst sind sehr neutral gehalten.«
Mollys Hand, die die Gabel mit den Pommes frites zum Mund führen wollte, stoppte auf halbem Weg. »Neutral?«
»Du weißt schon.« Harry machte eine vage Handbewegung. »Es sieht aus, als wären die Zeichnungen für diese Scherzartikel nichts weiter als gewöhnliche Routineprojekte.«
»Hm.« Molly kaute nachdenklich. »Keine Leidenschaft darin, das meinst du?«
Harry überdachte ihre knappe Beschreibung. Sie hatte genau den Aspekt getroffen, der ihn störte. »Vielleicht ist es das. Ein Mann, der wild zur Rache entschlossen ist, würde mehr Gefühl in seine Pläne investieren. Die Zeichnungen eines echten Erfinders sind einmalig und sehr persönlich. Einem geschulten Auge übermitteln sie sehr viel.«
Molly nickte. »Ich habe die Unterschiede in den Zeichnungen meiner Schwester gesehen, wenn sie wirklich von einem Projekt begeistert ist. Eine Menge kräftiger, entschlossener Linien, in denen Eifer und Enthusiasmus liegen.«
»Genau. Ich wurde einmal gebeten, einige Skizzen aus dem Notizbuch eines Mannes zu untersuchen, der ein Forschungslabor in die Luft jagen wollte, weil er glaubte, die Firma habe ihm seine Ideen gestohlen. Er hatte einige Zeichnungen für eine Art Bombe angefertigt, die er an die Forschungsabteilung schicken wollte.«
»Und?«
Harry aß noch eine Muschel. »In diesen Skizzen war etwas, das in seinen anderen Arbeiten nicht existierte. Intensität und Empörung. Man merkte dem Papier seinen Zorn förmlich an.«
»Einsicht oder Intuition?«
Finster verzog Harry
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