Traeume wie Samt
Fergus. »Es sieht so aus, als hätte Latteridge heute nachmittag das Land verlassen.«
Harry spürte, wie er innerlich erstarrte. »Sind Sie sicher?«
»So sicher, wie ich den Umständen nach sein kann. Ein Mann, auf den Latteridges Beschreibung paßt, hat den Flug nach London um 14 Uhr 30 genommen. Er hatte einen Paß, Gepäck – alles.«
»Der Paß war auf Latteridges Namen ausgestellt?«
»So sagen meine Quellen. Ich habe mit Freunden bei der Polizei gesprochen. Das Problem ist, daß wir nicht einmal einen Beweis für seine Betrugsabsicht besitzen, und erst recht nicht für Mord oder versuchten Mord.«
Harry legte die Hand über die Muschel und informierte Molly. »Latteridge ist heute nach Übersee geflogen.«
Mollys Augen weiteten sich. »Er ist weg?«
»Schein so.« Harry hörte Fergus am anderen Ende der Leitung etwas sagen. »Was meinten Sie?«
»Ich sagte, es sieht so aus, als wäre die Sache nun endgültig vorbei, Harry.«
»Das haben Sie auch gesagt, nachdem Wharton Kendall die Felsen heruntergestürzt ist.«
»Diesmal scheine ich richtig zu liegen«, sagte Fergus. »Sie kennen doch diese Typen. Wenn ein Betrug auffliegt, verschwinden sie spurlos.«
»Stimmt.«
Molly runzelte die Stirn. »Ich frage mich, ob Tante Venicia weiß, daß er weg ist. Ich rufe sie besser gleich an.«
Harry schüttelte den Kopf. »Wir werden persönlich mit ihr sprechen. Nachrichten dieser Art übermittelt man besser nicht am Telefon.«
Molly seufzte. »Du hast recht.«
»Harry?« Fergus klang verwirrt. »Sind Sie noch dran?«
»Ich bin da. Ich frage mich, wie Latteridge Verdacht schöpfen konnte, daß ihm jemand auf den Fersen war.«
»Das weiß ich nicht«, sagte Fergus. »Vielleicht hat ihn Ihr plötzlicher Flug nach Oregon aufgeschreckt. Er hat sicher jeden Ihrer Schritte genau beobachtet. Und es ist seine Gewohnheit, rechtzeitig von der Bildfläche zu verschwinden, um den Behörden zu entkommen.«
»Ein guter Betrüger weiß, wann er untertauchen muß.«
»Genau«, sagte Fergus. »Wollen Sie noch mehr Einzelheiten?«
Harry nahm einen Stift. »Sagen Sie mir alles, was Sie herausgefunden haben.«
Venicia die schlechte Nachricht zu überbringen war eine der schwersten Aufgaben, die Molly jemals hinter sich hatte bringen müssen. Sie war dankbar, daß Harry ihr durch seine Gegenwart den Rücken stärkte. Er stand neben ihr in Venicias neu dekoriertem, malvengrünem Wohnzimmer, während Molly offenbarte, daß Cutter Latteridge nicht zurückkehren werde.
Venicias anfänglicher, ungläubiger Zorn brach langsam in sich zusammen und machte verblüffter Erstarrung Platz. Dann brach sie in Tränen aus. Auch Molly weinte. Als ihre Stimme zu erstickt klang, um weiterzusprechen, half Harry ruhig und sanft mit den Einzelheiten aus.
»Aber er war ein wohlhabender Mann«, rief Venicia, während sie die Augen mit einem Papiertuch abtupfte. »Das Haus auf Mercer Island …«
»Er hat sich das Haus mit einem raffinierten Trick angeeignet«, erklärte Harry. »Die Banken und Immobilienmakler bemühen sich noch, die Sache aufzuklären. Aber es sieht ganz danach aus, als hätte er einen betrügerischen Kredit bei einer Bank im Osten aufgenommen, um damit den Makler und die Treuhändergesellschaft zu täuschen.«
»Und die Jacht?«
»Die gleiche Geschichte«, sagte Harry. »Der Jachtmakler schlägt sich noch mit dem Schlamassel herum.«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Venicia schniefte traurig. »Er ist ein so netter Mann.«
»Seine guten Manieren und die charmante Art sind sein Kapital«, sagte Harry.
Venicia sah Molly mit jammervollem Blick an. »Ich war wohl wirklich eine dumme alte Närrin, oder?«
»Beides völlig falsch.« Molly umarmte ihre Tante fest. »Du bist nicht alt und ganz bestimmt nicht dumm. Cutter oder Clarence, oder wie er sonst heißen mag, hat uns alle hereingelegt, Tante Venicia.«
»Er hat auch eine Menge anderer Leute betrogen«, fügte Harry hinzu. »Auf diesem Gebiet ist er Experte.«
»Ein Experte darin, andere Menschen zu verletzen.« Venicia wurde steif. »Was ist, wenn er wiederkommt? Du sagtest, er sei gefährlich.«
Molly sah zu Harry.
»Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß er in nächster Zeit nach Seattle zurückkehrt, wenn überhaupt«, sagte Harry. »Im Herzen ist er ein Betrüger, kein Mörder. Sein Gebiet ist die Täuschung. Er braucht Anonymität, um seinen Geschäften nachzugehen. Sein Hauptziel wird jetzt sein, die Identität als Cutter Latteridge zu
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