Traeume wie Samt
haben nicht den geringsten Beweis, daß Latteridge hinter allem steckt. Jetzt brauchen wir erst einmal Informationen über ihn. Wenn er Experte ist, müßte etwas über sein Vorleben herauszubekommen sein. Ich werde Fergus sofort darauf ansetzen.«
Molly beruhigte sich langsam. Sobald sie wieder klar denken konnte, tauchte eine Flut von Fragen auf. »Es ist verrückt. Wie um alles in der Welt konnte Cutter solch einen bizarren Plan erdenken und durchführen?«
»Wer immer er sein mag, er muß schon vorher ausgefeilte Szenarios erfunden haben. Dies ist nicht das Werk eines Amateurs. Er weiß, welche Details er zu berücksichtigen hat.« Harrys Gesichtsausdruck wurde ernst. »Zumindest was die Täuschungsmanöver angeht. Als Mörder ist er nicht so gut.«
»Wofür wir unserem glücklichen Stern danken können.«
»Also«, fuhr Harry fort. »Wir haben es mit einem Profi für Betrug zu tun. Wie gesagt, seine Taten sind wahrscheinlich aktenkundig. Wir werden Informationen darüber bekommen und sie benutzen, um die Aufmerksamkeit der Behörden auf ihn zu lenken.«
Molly überlegte. »Er kannte die Abberwick-Stiftung. Nur jemand, der sich in der Erfinderwelt auskennt, kann etwas von meinem Vater und der Stiftung wissen, die er in seinem Testament verfügt hatte.«
»Richtig. Vielleicht hat er deinen Vater oder deinen Onkel einmal kennengelernt.«
»Das bezweifle ich.«
»Warum?« fragte Harry. »Ich kannte die Arbeit deines Vaters auch, lange bevor ich dir begegnete. Eine Menge Menschen, die mit der kommerziellen Nutzung von Robotern zu tun haben, wissen, wer Jasper Abberwick war.«
»Wahrscheinlich«, stimmte Molly zu.
Der Sturm, der seit einigen Stunden drohte, brach nun los. Regen prasselte gegen die Windschutzscheibe, und Harry schaltete die Scheibenwischer ein. Mehrere Meilen setzten sie die Fahrt nach Portland schweigend fort. Molly sah Harry von Zeit zu Zeit an. Sie wußte, daß er tief in Gedanken versunken war und das Problem Cutter Latteridge aus jedem möglichen Blickwinkel untersuchte. Fast konnte sie seinen messerscharfen Verstand spüren, mit dem er die Situation analysierte.
»Wann genau erschien Latteridge zum erstenmal auf der Bildfläche?« fragte er schließlich.
»Ich habe dir doch erzählt, daß Tante Venicia ihm im Frühjahr auf einer Kreuzfahrt begegnet ist. Warum?«
»Ich versuche seine Zeitplanung zu rekonstruieren«, sagte Harry, bevor er erneut in Schweigen verfiel. Nach einigen Meilen sprach er wieder. »Ich glaube, ich habe jetzt genug Material für Rice. Beim nächsten Telefon halten wir.«
Wenig später tauchte im Dunst eine Tankstelle auf. Harry verlangsamte die Fahrt und bog von der Straße auf den Parkplatz. Dort stellte er den Motor ab und öffnete die Tür. »Ich bin gleich zurück.« Er stieg aus, schloß die Tür und eilte durch den Regen unter das schmale Dach der Telefonzelle.
Durch die regennassen Scheiben sah Molly ihm nach. Hin und wieder durchliefen sie unheimliche, kalte Schauer, und das seltsame Gefühl von Gefahr machte sich breit. Zuerst verstand sie nicht, was los war. Sie wußte, daß sie Angst hatte und sich große Sorgen um Venicias Sicherheit machte, aber diese andere Empfindung fühlte sich an, als strömte sie von außerhalb zu ihr. Erst als Harry den Hörer einhängte und sich auf den Weg zurück zum Wagen machte, wurde ihr klar, daß sie ein entferntes Echo von ihm auffing. Sie nahm sein Bewußtsein für die Gefahr wahr, in der sie schwebten. Diese Wahrnehmung ähnelte dem Gefühl, das sie immer öfter empfand, wenn sie miteinander schliefen. Fremd und doch vertraut.
Als Harry die Wagentür öffnete und sich hinter das Lenkrad setzte, brach er in ihre verstörten Gedanken ein.
»Es gießt.« Er fuhr sich durch das Haar, um die Feuchtigkeit herauszustreichen. Dann sah er Mollys Gesicht, und sein Blick verdüsterte sich. »Was hast du?«
Molly räusperte sich. Wenn er in den letzten Minuten überhaupt etwas gefühlt hatte, würde er es ganz sicher nicht zugeben. »Nichts.« Sie schaffte ein schwaches Lächeln. »Ich habe nur etwas Angst. Das ist alles.«
»Kein Wunder, unter den gegebenen Umständen.« Harry drehte den Körper zu ihr. Sein Gesicht war ernst. »Ich habe mit Rice gesprochen und ihm gesagt, daß er sich Cutter Latteridges Hintergrund ansehen soll. Mit etwas Glück kann er uns schon einige Vorabinformationen geben, wenn wir in Seattle angekommen sind.«
»Aber was machen wir mit Tante Venicia? Wir können doch nicht zulassen, daß sie
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