Traeume wie Samt
zurück.«
»Nein, nicht jetzt. Was ist mit Ihnen.« Molly hob die Hand und berührte sein Gesicht vorsichtig mit den Fingerspitzen. »Sie glühen ja! Ich glaube, Sie haben Fieber. Sie hätten etwas sagen sollen. Ich hatte keine Ahnung, daß Sie krank sind. In diesem Zustand wären Sie mir besser nicht zu Hilfe gekommen. Sie gehören ins Bett.«
»Nein«, krächzte Harry. Das gebogene Glas, auf dem er nur einen unsicheren Stand hatte, bebte unter ihm. Er konnte sich weder zurückziehen noch weitergehen. Nicht mehr lange, und die Brücke würde unter ihm brechen. »Mir geht es gut. Lassen Sie mich allein.«
»Seien Sie nicht dumm. Das kann ich nicht.« Molly nahm seine freie Hand, um ihn auf den Korridor zu führen. »Ich werde Sie ins Bett bringen und Fieber messen. Warum haben Sie mir nicht gesagt, daß es Ihnen nicht gutgeht?«
»Ich bin nicht krank.«
Ohne auf seinen schwachen Protest zu hören, zog Molly Harry in Richtung Schlafzimmer. Er war zu hilflos, um der sanften Kraft ihrer Hand zu widerstehen. Molly führte ihn mit einer Entschiedenheit, als hätte sie ihn durch Magie gebannt. Also bemühte er sich, in die Realität zurückzukehren und sein Bewußtsein wiederzuerlangen. Aber es war zu spät. Mollys Berührung hatte ihn weiter über den Abgrund hinausgezogen. Der Hunger, endlich zu entdecken, was sich auf der anderen Seite befand, war zu stark, um ihn noch leugnen zu können.
»Da sind wir.« Molly führte Harry ins Schlafzimmer und ließ seine Hand los, um die Bettdecke zurückzuschlagen. Sie stand mit dem Rücken zu ihm. Harry, überwältigt von dem bezaubernden Anblick, betrachtete die weiche Krümmung ihres Nackens hingerissen. Mit ausgestreckter Hand machte er einen Schritt auf Molly zu, um sie zu berühren. Dabei stolperte er über seine Füße.
»Nun weiß ich, daß Sie wirklich krank sind«, sagte Molly, während sie ihn stützte. »Normalerweise bewegen Sie sich wie die Fische in dem Aquarium, das in Ihrem Arbeitszimmer steht.«
»Wie die Fische?« Eine peinigende Qual durchfuhr ihn. Fische waren kalte, gefühllose Kreaturen. Vielleicht glaubte Molly, er wäre unfähig zu einer normalen menschlichen Reaktion und hatte den Wahnsinn in ihm bereits gesehen.
»Sie wissen schon.« Molly machte eine wellenförmige Handbewegung. »Sie gleiten durch den Raum, als würden Sie im Meer schwimmen. Und dann vollführen Sie diese blitzartigen Bewegungen, die mich immer wieder verblüffen.«
»Blitzartig.« Erleichterung breitete sich in ihm aus. Sie sprach über seine Art zu gehen, nicht über seinen Geisteszustand.
»Heute abend habe ich in der ganzen Zeit, seit ich Sie kenne, zum erstenmal erlebt, daß Sie das Gleichgewicht verlieren oder stolpern. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin sicher, daß Ihr Gleichgewichtssinn lediglich von dem Fieber beeinträchtigt ist. Morgen früh sind Sie wieder in Ordnung.«
Harry schüttelte den Kopf. Wie sollte er ihr auch nur ansatzweise erklären, was mit ihm geschah? Nicht einmal er selbst verstand es. Bis jetzt schien Molly keine Ahnung von der grausamen Schlacht zu haben, die in ihm tobte, aber er wußte, daß dieser Zustand nicht lange anhielt. Nur noch wenige Minuten, und sie würde verstehen, daß an ihm etwas Seltsames war.
Sie knipste das Licht neben dem Bett an.
Leicht schwankend kämpfte Harry um seine Selbstkontrolle. Aber der Hunger war stärker. Molly strahlte mehr weibliche Verlockung aus als jede andere Frau seit Eva im Paradies. Sie war die Frau, die auf der anderen Seite des Abgrunds auf ihn wartete. Vor brennendem Verlangen schmerzte sein Inneres wie eine offene Wunde.
Molly hatte das Bett fertig vorbereitet und wandte sich ihm jetzt zu. Ihre wunderbaren Augen glänzten dunkel. Mit einem Anflug von Erstaunen stellte er fest, daß das Mitgefühl darin ihm galt. Sie hatte noch immer keine Angst, sondern sorgte sich um ihn. Er konnte nichts mehr tun, um das Unheil abzuwenden. In wenigen Sekunden würde sie das überwältigende Verlangen in ihm erkennen und wissen, daß es unnatürlich war, auch wenn es ihm vollkommen normal erschien. Sie würde in Panik geraten und vor ihm fliehen, als wäre er ein Ungeheuer. Ihn verlassen wie Olivia. Da er sich heute nacht so verletzlich fühlte, war Harry nicht sicher, ob er ihre Zurückweisung überleben könnte. Er würde von der Glasbrücke stürzen und fallen bis in alle Ewigkeit.
Er war verloren.
»Ich helfe Ihnen aus dem Hemd.« Auf der Suche nach den Knöpfen bewegte sich Mollys Hand über seine
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