Traeume, zart wie Seide
einmal ein weißes Kleid zur Schau zu tragen, aber noch lange kein Grund, sich danach auf die Aufmerksamkeiten nur eines Mannes zu beschränken.
Gray schloss seine Zimmertür hinter sich und zog sich das Polohemd über den Kopf. Er selbst hatte in Washington viele Affären gehabt, und eine ganze Reihe davon mit verheirateten Frauen. Aber Verachtung für die Frauen aus den so genannten besseren Kreisen hatte er bereits in seiner Kindheit gelernt – seine eigene Mutter hatte sie ihm eingegeben.
Belinda Bennett war eine Schönheit aus reichstem Hause und konnte ihren Stammbaum bis zu den Gründern der Vereinigten Staaten zurückverfolgen. Unglücklicherweise passte ihr Benehmen ganz und gar nicht zu ihrem guten Namen, denn sie schlief mit jedem Mann, der auch nur das geringste Interesse an ihr zeigte.
Von klein auf war sie ein verwöhntes, aufsässiges und zickiges Mädchen gewesen, und als Erwachsene schien sie entschlossen, ihre Unabhängigkeit zu beweisen, indem sie standesgemäß einen angesehenen Bundesrichter heiratete – Grays Vater dann mit jedem Mann betrog, der ihren Weg kreuzte.
Was hatte sie Walter Bennett alles angetan! Die Demütigung, die Missachtung, der Hohn mussten unerträglich gewesen sein. Sie hatte mit seinen Freunden aus dem Klub geschlafen, mit seinem Steuerberater, mit seinem Cousin. Und mit dem Gärtner, dem Tennislehrer und dem Chorleiter. Auch Grays Englischlehrer war vor ihr nicht sicher gewesen. Und zur Krönung des Ganzen hatte sie zwei seiner Mitstudenten am College verführt.
Stirnrunzelnd trat Gray unter die Dusche. Sein Vater war ein guter Mensch, aber zu weichherzig. Deshalb hatte er an dieser Farce einer Ehe festgehalten und sich wieder und wieder das Herz brechen lassen.
Schon vor langer Zeit hatte Gray beschlossen, dass ihm so etwas nie passieren würde. Ihm würde nie eine Frau den Kopf verdrehen, und ganz gewiss würde keine sein Herz stehlen. „Frauenfeind“ nannten ihn einige hinter vorgehaltener Hand, und manchmal warf ihm eine seiner Affären das Wort auch direkt an den Kopf. Stolz war er darauf natürlich nicht, aber er stritt den Vorwurf auch nie ab.
Er konnte sich einfach nicht vorstellen, einer Frau genug zu vertrauen, um sie zu heiraten. Vielleicht war er ja auch nur ein Feigling?
Mit einem bitteren Lachen stieg er aus der Dusche und griff nach dem Handtuch. Nein, ein Feigling würde wohl kaum so vielen Senatoren und Kongressabgeordneten Respekt einflößen. Und der Präsident der Vereinigten Staaten würde vermutlich nicht seine Anrufe persönlich annehmen – ganz gleich, wo er sich gerade befand –, wenn er Gray für einen Feigling hielte.
Nein, er war nicht feige, nur scharfsichtig. Im Gegensatz zu vielen anderen Männern weigerte er sich, einer Frau Macht über sich zu geben. Wenn man in einer Beziehung seine Schwachstellen offenbarte, nutzte der andere sie früher oder später aus.
Gray ging zum Schrank und nahm seinen dunkelblauen Anzug heraus. Als er gerade die Hose anzog, sah er vor dem Fenster eine Bewegung, und er trat unwillkürlich näher. So rotblondes Haar hatte in dieser Gegend nur eine.
Joy Moorehouse radelte die Auffahrt hinauf, und ihre langen Locken flatterten im Wind. Als sie beim Haus ankam, stieg sie leichtfüßig ab und schob das Fahrrad um die Hausecke in Richtung Dienstboteneingang.
Am liebsten wäre Gray ihr nachgelaufen. Nimm dich zusammen, schalt er sich selbst. Du kennst die Frau ja kaum. Und Gray Bennett ist noch nie einer Frau nachgelaufen.
Doch es nützte alles nichts, denn da war es wieder, dieses Bild, das er seit ein paar Wochen einfach nicht mehr aus dem Kopf bekam: Joy Moorehouse auf dem Bootssteg des White Caps, mit nichts bekleidet als einem winzigen Bikini.
Seit Jahren kam er im Sommer hierher, und hin und wieder war er ihr in der Stadt über den Weg gelaufen. Sicher, hübsch war sie immer schon gewesen, doch sein besonderes Interesse hatte sie nie geweckt. Das hatte sich dieses Jahr grundlegend geändert.
Sie war eine Schönheit, das war nicht zu übersehen. Aber als er sie im Bikini am See getroffen hatte, war ihm zum ersten Mal aufgefallen, dass er eine Frau vor sich hatte, nicht den Teenager, an den er sich von früher erinnerte.
Diese perfekten Kurven, die helle Haut, die großen Augen, in denen sich Überraschung spiegelte, als sie ihn sah …
Das Bild hatte sich ihm eingebrannt, und er schämte sich dafür. Denn auch wenn Joy Moorehouse nicht so jung war, wie sie wirkte, schien sie doch gänzlich
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