Träume(h)r (German Edition)
Peters meine ich. Der Typ klebte uns den ganzen Tag am Arsch! Nachdem ich dann endlich gekündigt hatte, ist mir eingefallen, dass jeder von uns Promotern auf der Arbeit ein Smartphone dabei hatte. Mir kam also die Idee, dass wir nur noch eine App benötigt hätten, die uns ermöglicht hätte, ohne großen Aufwand von einem unserer Handys gleichzeitig Benachrichtigungen an alle anderen Smartphones zu senden, wenn sich Peters gerade in der Nähe von einem von uns befand.«
Lars hörte aufmerksam zu und schaffte es sogar zwischen Marcs Worten das ein oder andere »Ja« oder »Aha« zu platzieren.
»Dabei dachte ich an einen Buzzer, der dann alle Displays rot aufleuchten lassen würde. Keine individuelle Nachricht, kein Schnickschnack, nur das Aufleuchten und ein standardisierter Text wie »Boss ist gerade bei Sven!«. Ganz einfach. Somit könnten sich die Anderen dann ungestört ihrer Arbeit beziehungsweise Nichtarbeit widmen. Im Prinzip nicht anders als ein Alarm, der signalisiert, dass der Boss gerade in der Nähe des Senders ist.«
Nachdem Marc fertig war, musste er damals erstmal tief Luft holen, aber es würde sich gelohnt haben. Aus seiner Vision wurde innerhalb eines Monats, mit der Hilfe von Lars, Realität. Der Einführungspreis im Online-Store für Applikationen betrug 0,99€ pro Download. Mit dem Boom, den er dadurch ausgelöst hatte und den damit einhergehenden Rückgang der Produktivität der Arbeitnehmer in Deutschland, hätte Marc niemals gerechnet. Jedenfalls hatte er sich in kürzester Zeit eine goldene Nase verdient und musste vermutlich nie wieder vor einem Erdmännchen davonlaufen. Als Hommage an Peters wurden die Vorgesetzten in der Applikation ebenfalls Sid genannt. Durch diverse Upgrades, die Lars fortlaufend entwickelte, blieben ihre Gewinne bis in die Gegenwart konstant. Als Krönung wurde »Boss Beeper« zur App des Jahres gewählt und niemanden in der Nachbarschaft wunderte es noch, dass Marcs Golf II durch einen Golf VI GTI ausgetauscht wurde.
Seine finanzielle Situation war also alles andere als schlecht und Portugal gewiss eine attraktive Option für die Zukunft. Zuerst musste aber der imaginäre Bilderrahmen für das Arbeitszimmer mit einem selbstbestätigenden Phallus gefüllt werden. Würde es dem Ego dann noch immer nicht reichen, sagte sich Marc, so könnte er gewiss einen Doktortitel irgendwo im Osten käuflich erwerben. Jedenfalls sicherer und mit weniger Aufwand verbunden, als zu plagiieren.
Nachdem er das Buch zu Ende gelesen hatte und die Dämmerung eintrat, schaute er sich wie so oft den Sonnenuntergang am Horizont über den Feldern an und dachte an ferne Länder. Irgendwie romantisch die ganze Welt vor sich zu haben, aber doch lieber in einem goldenen Käfig zu sitzen, philosophierte er. Immerhin hatte Marc in seinem Käfig alles, was man brauchte. Ein überintaktes Familienleben und genug Platz dank eigener Etage mit Bad, Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer und weitläufiger Dachterrasse. Da würde so manch ein Student in seiner Ein-Zimmer-Wohnung vor Neid erblassen, dachte er und lächelte dabei zufrieden vor sich hin.
Trotzdem fehlte Marc das gewisse Etwas. Ein kleines Abenteuer vielleicht. Er musste nicht wie Indiana Jones durch den Dschungel streifen, um Schätze zu suchen oder vor Ganoven zu fliehen, aber er hatte noch nicht einmal ein Auslandssemester absolviert. Die Fotos seiner Freunde vor Sehenswürdigkeiten wie dem weißen Hause, dem Time Square, auf der chinesischen Mauer oder dem Kilimandscharo verspotteten ihn regelmäßig, wenn er sie aus Langeweile im Internet durchstöberte. Irgendwann würde es auch für ihn losgehen. Das sagte sich Marc bereits seit Jahren.
Im Badezimmer betrachtete er sich im Spiegel. Er zog, wie so oft, dabei Grimassen und verwuschelte sein dichtes, braunes Haar. Er war 1,88m groß, athletisch gebaut und hatte ein markantes Gesicht. Über seine Gene konnte er sich definitiv nicht beklagen. »Als hätte Da Vinci den vitruvianischen Menschen nach ihrem Abbild erschaffen, Herr Fröhlich«, sagte damals der Arzt bei einer Untersuchung zu ihm. Stimmt vielleicht, dachte Marc, aber Da Vincis Kunstwerk hat bestimmt einen Finger mehr.
Als er im Alter von zwanzig Jahren, da war er gerade im zweiten Semester angekommen, die Leidenschaft seines Vaters, das Heimwerken, für sich gewinnen wollte und ihm beim Zurechtschneiden der Bretter für das sanierungsbedürftige Gartenhäuschen half, schaute er für den Bruchteil einer Sekunde verträumt zu
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