Träume(h)r (German Edition)
wissen wollen, wo die zwei netten jungen Männer steckten, die am Vorabend für so eine tolle Stimmung in ihrem Lokal gesorgt hatten, aber sonst war ihr nichts von dem nächtlichen Stierkampf im Gedächtnis geblieben.
Da die Schicht von Sofia und Pepe bald im Restaurant beginnen würde, mussten sie sich etwas beeilen. Vor der Villa umarmten sie Luis zum Abschied und fuhren in Richtung Bahnhof, wo sich ihre Wege trennten.
Sofia wollte gar nicht mehr von Ole ablassen. Er steckte der Spanierin bei ihrem letzten Kuss ein zusammengefaltetes Blatt Papier in die Gesäßtasche ihrer Jeans, wobei man sich sicher sein konnte, dass es ein Bild von Sofia war. Ganz klar. Oles Markenzeichen, wie schon in Paris, Berlin, Münster, München oder sonst wo, wurde auch in Madrid ein weibliches Porträt gezeichnet. Marc wollte sich gar nicht ausrechnen, wie viele dieser Bilder bereits im Umlauf sein mussten.
Als das Auto davonfuhr und sie erneut am Bahnhof in Madrid standen, war es 21:20 Uhr. Am Informationsschalter erfuhren sie, dass der nächstmögliche Zug nach Lissabon in zwanzig Minuten abfahren würde. Sie kauften ihre Tickets und begaben sich zum Gleis.
Marc stieg gemeinsam mit seinem Freund Ole zwei Minuten vor der offiziellen Abfahrtszeit in den HOT 332. Der Zug würde am nächsten Tag um 7:41 Uhr in Lissabon ankommen. Sie hatten also genügend Zeit, um sich ohne großartige Zwischenfälle ausruhen zu können.
Im Inneren des Zuges dauerte es eine Weile, bis der Riese die Tür des Abteils hinter ihnen schloss und seinen Körper, nachdem er den schweren Rucksack abgelegt hatte, auf der Pritsche ausbreiten konnte.
»Jetzt könnte man doch nach etwas Süßem schauen, oder?«, fragte er Marc, während die Bahn gerade Fahrt aufnahm. »Ich habe da vorhin so ein Bord-Bistro gesehen.«
»Ok, hier sind zwanzig Euro. Lauf los, aber gib nicht alles auf einmal aus!«, ermahnte ihn sein Kumpel, wie man ein Kleinkind ermahnen musste, das sonst ohne Restgeld wiederkäme. Zufrieden verließ Ole das Abteil.
Nun hatte Marc etwas Zeit für sich. Er ließ seine bisherige Reise Revue passieren und war stolz auf sich, denn er hätte nicht gedacht, dass er es wirklich so weit schaffen würde. Trotz zweier Attentate der weiblichen Welt auf ihn, hatte er die Reise bislang ohne bleibende Schäden überstanden und kam seinem Traum immer näher. Ihm war bewusst, dass es nicht der konventionelle Weg eines Studienabbrechers sein konnte, eine Zukunft im Ausland aufzubauen, die auf einer ungewissen Tätigkeit als Fischer beruhte, allerdings war er guter Dinge und solange er Ole durchgehend mit Junkfood und Süßigkeiten versorgte, war er sich sicher, nicht alleine bleiben zu müssen.
An das baldige Dasein in Salema erinnert, setzte Marc sich auf und griff tief in die Öffnung seines Seesacks. Er holte das Buch hervor, das ihnen Mathis, der gescheiterte Professor, gegeben hatte und musste lächeln, als er an den Franzosen dachte. Ob er es wohl schaffen würde wirklich ein Buch zu schreiben, fragte sich Marc und klappte die erste Seite der Novelle auf. Ole brauchte eine halbe Ewigkeit, bis er zurückkehrte, was ihm reichlich Zeit zum Lesen gab.
Hemingway beschrieb einen alten Fischer namens Santiago, der seit Monaten keinen Fisch mehr gefangen hatte und zudem bettelarm war. Nach weiteren dreißig Seiten eröffnete sich Marc, dass der Fischer weder ein glückliches, noch ein erfülltes Leben führte. Nicht einmal für ausreichend Nahrungsmittel langte es ihm. Er hatte nur einen kleinen Jungen als Freund, der sich zeitweise um ihn kümmerte. Die Worte des Autors zogen Marcs Stimmung in die Tiefe. Ein wirklich depressiver Mensch, dieser Hemingway, dachte er sich, als er das Buch zur Seite legte, um sich seinem Kumpel Ole zu widmen, der gerade zur Tür hereinkam.
»Na, alles gefunden, was du wolltest?«, fragte er, ohne ein Wort über die Novelle verloren zu haben. Ole nickte zufrieden und kaute weiter an einem Karamellbonbon, das seine Zähne braun färbte. Beide Hosentaschen seiner Shorts hatten dicke Beulen und in der linken Hand hielt er eine prall gefüllte Plastiktüte, was für Marc bedeutete, dass der Riese mindestens bis Lissabon versorgt sein musste.
Seine andere Hand umfasste eine deutsche Tageszeitung, die er Marc, als Dank für die Fressalien, zuwarf und sich anschließend auf seine Pritsche setzte und zeichnete.
Nicht nur Portraits von seinen weiblichen Bekanntschaften konnte Ole aufs Papier bringen, sondern auch das Zeichnen von
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