Traeumer und Suender
weg, und man sitzt eingesperrt wie im Rollstuhl hinter den Augen fest, ein festgefrorener Gedanke im eigenen Fleisch und plötzlich ist die Welt so weit weg. Mehr als ein
si, no, pane, mangiare, caffè
konnte man nicht mehr aus ihm rausholen. Totale Aphasie. Antonioni konnte sich auch nur noch sehr schwer auf etwas konzentrieren. Aber seine Präsenz, dieses Leuchten der Augen! Das hat jeder bemerkt. Das hat uns alle immer noch begeistert. Ein Mann, der alles sah, der alles hörte, der alles verstand. Man hatte das Gefühl, dass er alles durchdrang, wenn er einen ansah, selbst damals noch, in seinem Alter. Na, und dann warda ja auch noch Enrica, seine Frau, die hat alles übersetzt, Antonionis Gemurmel, sein Gekritzel, die brauchte er manchmal nur anzusehen und dann sagte sie uns, was Michelangelo wollte. Wie? Na ja, ein paar Jahre älter als ich war er schon, so genau weià ich das nicht mehr. Damals, im November â94, das ist ja jetzt auch schon wieder wahnsinnig lang her. Ich habe Ihnen ja bereits davon berichtet. Wir kannten uns noch nicht lang, ein paar Mal sind wir uns in Cannes und Venedig über den Weg gelaufen. Ich muss sagen, ich habe nie eine Kampagne für ihn gemacht, und viel Geld haben wir auch nie in seine Filme gesteckt, aber als Wenders damals fragte, ob wir für
Jenseits der Wolken
was machen können, wo sie ihn sozusagen als Versicherung eingekauft hatten, als Zweitbesetzung des Regisseurs, falls Antonioni was passiert, da haben wir zugeschlagen, der Wenders interessierte mich damals auch. Rührend, dieser Wim. So jemanden bräuchten wir jetzt. Wäre gut am Set. Könnte alle beruhigen.
Der Wenders hatte lange in L.A. ein Haus, das jetzt einem Musikproduzenten gehört, einem Freund von mir. Das Haus ist der Wahnsinn! Kinoraum im Keller, aber vor allem das obere Bad: schwarzer Granit, indirekte Beleuchtung, Dusch- und Dampfdüsen überall in der Decke und in den Wänden, sodass man sich vorkam wie in einem römischen Dampfbad. Wim muss ein Badefanatiker sein. Ich hab ihm das nie erzählt, dass ich sein ehemaliges Haus sehr gut kenne, Sie wissen, dass manche Leute ihre Häuser wie eine zweite Haut betrachten? Nicht die Amerikaner, dafür ziehen sie zu viel um, aber wir Deutsche. Da ist schon was dran. Seitdem wir unsere Heimat verloren haben â und ich meine nicht nur das Wort, sondern das ganze Konzept â, haben wir es halt mit â¹Zuhause⺠ersetzt. Ein schöner, aber doch letztlich vergeblicher Versuch. Kleine Bungalowsehnsucht am Stadtrand, das bürgerliche Ersatzsyndrom. MeinGott, oder war das das Haus von dem Herzog? Gut, dass ich nichts gesagt habe, so langsam wird man alt. Der Wenders ist nämlich heute auch da! Vorsitzender der Jury. Reichen Sie mir noch die Mütze aus dem Schrank?»
Der Interviewer reichte ihm eine altmodische Kappe aus Kaschmir.
«Beim Dreh von Wenders/Antonioni â so war damals unsere Vermarktungsstrategie, ein künstlerisches Doppel â war ich nur selten dabei, ich hatte zu der Zeit eine andere Produktion laufen. Ich weià noch, wie böse Michelangelo wurde, wenn es nicht so lief, wie er wollte. Sie hatten ihm einen Stift gegeben, und mit der linken Hand malte er zittrig immer etwas auf den Block, den ihm seine Assistentin reichte, und Wenders kam dann und versuchte, sich mit ihm zu besprechen, Wim französisch, Antonioni mit Zeichen, Bildern, Blicken oder mit Enrica, die sich beim Dreh aber insgesamt doch eher zurückhielt. Er mochte die Idee wohl nicht, Antonioni, dass Wim die Ãbergänge zwischen den vier Episoden mit Malkovich drehte, ehrlich gesagt, das wurden auch wirklich nicht gerade die stärksten Passagen des Films. Ich war auch von Anfang an skeptisch.
So ein richtiger Erfolg wurde das Ganze dann nicht, aber was macht das schon, wenn man bei so was dabei ist. Dazu gehört auch Respekt. Noch einmal mit einem Genie arbeiten, so hat der Wenders das immer genannt. Na ja, Genie. Für mich war das eher der Hitchcock. Aber persönliche Vorlieben muss man auch mal beiseitelassen.»
Der alte Mann betrachtete noch einmal erfreut sein Spiegelbild mit Mütze, wobei er bemerkte, dass die Krawatte noch nicht korrekt saÃ. Er schnippste ungeduldig mit denFingern, und der Interviewer reichte ihm aus dem Schrank noch die silberne Krawattennadel.
«In der Kunst gibt es ja kein richtig oder falsch, es gibt nur ein gut oder schlecht. Etwas funktioniert, und die
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