Traeumer und Suender

Häuserreihe, die Sie vorhin gesehen haben, beginnt eine Landschaft, da denken Sie, Sie sind in der Campagna, und alles mitten in der Stadt! Wenn Sie ganz durchgehen, kommt hinten rechts der jüdische Friedhof, wo Bassani liegt, aber da wollen wir jetzt nicht hin, das ist mir zu weit.
    Antonioni war ein Architekt der Bilder. Ich glaube, das hat sowieso viel miteinander zu tun, Architektur und Film. Der Plan, den man macht, die Wege, die man anlegt, auf denen man seine Figuren durch künstliche Räume führt. Das Geheimnis der nächsten Ecke, dass man wissen will, was kommt nach der nächsten Häuserzeile. Städte mit ihren Straßen und Plätzen sind ja nicht zum Anschauen, es geht darum, in ihnen zu leben. Wenn ich mir Stadtpläne anschaue, habe ich immer das Gefühl, ich sehe jemandem ins Gehirn.
    Es ist wohl kein Wunder, das Antonioni hier geboren wurde, in dieser allerersten Stadt überhaupt, die wirklich zur Hälfte geplant wurde, sozusagen das architektonische Herzstück der Renaissance. Venedig ist eine wilde Ansammlung von Lust und Kampf mit dem Wasser, Rom der ewig neue Glanz vom Auferstehen aus Ruinen, und Florenz hat es Ferrara nachgemacht. Hier, wir biegen hier ab, sehen Sie? Diese Weite! Die rechten Winkel, in diesen Straßen konnte man atmen! Damals muss das eine Offenbarung gewesen sein.
    Als Antonioni und Wenders hier in Ferrara drehten, bin ich ein paar Mal da gewesen, aber das meiste seiner ersten Episode hat er ja tatsächlich in Comacchio aufgenommen, in diesem Klein-Venedig am Meer.
    Antonioni war voller Hass auf die Snobs, die in ihren sicheren Zimmern saßen, während draußen die Faschisten die Kommunisten, die Nazis die Juden, die Kommunisten die Faschisten, die Faschisten wieder die Kommunisten abknallten, und dann nach dem Krieg alle Verbrechen nur von den Deutschen begangen worden sind, natürlich! Italien ist sauber, so sauber und so schuldlos, dass sie sich Berlusconi und die Lega Nord leisten können. Wenn es eine Ratingagentur für Verlogenheit geben würde, dann hätte dieses Land Triple-A-Qualität. Aber ich liebe es trotzdem, ich liebe es.
    Zu Hause müssen Sie sich unbedingt
La lunga notte del ’43
anschauen, von Florestano Vancini, das ist ein Film! Wir kommen um unsere Vergangenheit nicht herum. Sie wissen ja von meiner Besessenheit für Geschichte! Aber wenn Sie es recht bedenken: Hatte nicht Italien, wo der Faschismus erfunden wurde, längst Vernichtungskriege geführt, bevor Hitler Polen angriff? Was ist mit Libyen, was mit Äthiopien? Giftgasangriffe, auch aus der Luft, diese massive Bombardierung der Zivilbevölkerung, das Beschießen von Flüchtlingstrecks, Massenvergewaltigungen, Konzentrationslager für die ‹Neger›, ja, da staunen Sie, was? Das gab es alles schon vor den Deutschen. Das war wie ein Auftakt für all die Schrecken, alles nur in kleinerem Maßstab, und halt in Afrika! Proteste beim Völkerbund? Hatten kaum Sinn, es ging ja ‹nur› um Kolonien!
    Mussolini hatte den Traum, sein Römisches Reich wiederherzustellen, die fruchtbaren Hügel in der Kyrenaika, die Plantagen in Äthiopien und Eritrea sollten von Weißen, von Italienern bestellt werden, die Zivilisation wieder einkehren auf dem dunklen Kontinent, der ja sowieso, bis auf Liberia, unter den europäischen Mächten aufgeteilt war. Ja, und da hat es der italienischen Propaganda wunderbar in die Hände gespielt, dass die Sanussi in Libyen und dann vorallem die Äthiopier auch Grausamkeiten begingen. Folter, Verstümmelung von Gefangenen. Die Schwänze haben sie denen abgeschnitten. Noch heute heißt ein Flughafen in Kalabrien nach einem dieser Lufthelden, Tito Minniti, der ist mit seiner Ro.1 in feindlichem Gebiet notgelandet. Wurde gefangen genommen, einen halben Tag lang gequält, dann entmannt und geköpft. Ja klar, Uranus sticht mit seinem Ding aus Stahl immer wieder und wieder vom Himmel auf die Erde runter, rattert seine Penissalven aus den Maschinengewehren auf,
fottuto mondo
, verfickte Welt, die Hütten und die Frauen werden von seinen Kugeln freudig besamt und fallen in ekstatischer Agonie zuckend im roten Orgasmus zu Hunderten vor den faschistischen Helden der Lüfte ihrer
Aeronautica Militare
zu Boden, oh, ja, die Götter besorgen’s uns aus dem Himmel, oh, danke für diesen geilen Tod, und dann regt sich die Presse auf, dass ihren Halbgöttern in Lederjacke