Traeumer und Suender

ihre Süppchen aus, Eva turnt, Adi deklamiert, der Adlerhorst als Gebärmutterdes Grauens aus dem Geist des
Weekends
, nein, nein, so geht das nicht. Verschwendetes Material. Unfreiwillig komisch ist das, ein gigantischer Gag aus überzogenem Kunstpathos. Aber jetzt, bei
Faust
, hat er’s raus. Absolut überzeugend, gelungen. Und wir sind mit dabei. Hat sich richtig gelohnt. Doch das Beste ist, dass Rosfilm jetzt beim
Gleiwitz
-Projekt wirklich ganz mit einsteigt. Ich habe vorhin ein Fax bekommen, die können mich mal in Rom! Die haben wir richtig ausgehebelt. Borodinov schickt einen Mann rüber, der sich mit uns treffen will. Wir kriegen das so was von hin!»
    Der Interviewer wusste nicht, was er sagen sollte. Irgendwie war ihm die Kaltblütigkeit, mit der der alte Mann seit dem gestrigen Nachmittag agierte, unheimlich geworden. Er hatte das Gefühl, mit einem unberechenbaren Maniker eingepfercht zu sein, einer immer schneller laufenden, grinsenden weißen Ratte, die das Laufrad einer monströsen Maschine bediente, weil sie genau zu wissen schien, dass diese Maschine für sie da war und nicht umgekehrt.
    Â«Ich habe ja schon meine Bedenken. Deutsch-polnisch-italienisch-russische Koproduktion. Mit dem Eintritt der Russen ergibt sich ein neues Problem. Ich muss das den Polen verklickern, nicht nur den Schauspielern, sondern auch der Bezirksregierung, von der wir Fördermittel bekommen, wenn wir da drehen. Die wollen wahrscheinlich keine Russen dabeihaben; die haben so lange gewartet, um die loszuwerden, und jetzt geht die Angst um, die schleichen sich mit ihrem Gas- und Öl-Geld durch die Hintertür wieder ein. Und da ist ja was dran, Kultur ist eine weiche Waffe, Sie werden von ihr eingewickelt, mit Fäden, die man spinnt, während man glaubt, das man noch selber an ihnen zieht. Aber Metaphorik beiseite. Ich kann das schon verstehen.Die Oberen von Rosfilm sind Enthusiasten, verstehen Sie, die fliegen schon mal gern mit einer Gulfstream oder irgend so einem verrückten umgebauten Helikopter mit Whirlpool – und ganz in Leder ausgeschlagen – ans Set und wollen dann Ridley sehen oder die Kidman; die haben natürlich Lastwagenladungen Champagner dabei, mit Kaviar braucht man denen gar nicht erst zu kommen, der ist so selbstverständlich dabei wie bei uns die Butter. Wenn Sie einem Russen zu einer Party Kaviar mitbringen, dann ist das, als würden Sie in Deutschland bei einer Einladung mit einem Schwarzbrot im Arm vor der Tür stehen. Da ist Geduld gefragt und Fingerspitzengefühl, aber das wird schon, das wird. Ich bin ja jetzt fast wieder auf dem Damm. Helfen Sie mir mit der Krawattenwahl?
    Nein, nicht die Borelli, die helle mit dem Hund von Paul Smith. Ein wenig Verschmitztheit muss heute schon sein. Danke! Ist schön hier, nicht? Ein bisschen dunkel, durch das alte Holz, aber die Kassettendecken machen vieles wieder wett. Ich habe hier ein ganz anderes Problem. Ich muss mich die ganze Zeit kratzen, es juckt an den Armen, den Beinen, vor allem aber auf dem Kopf und im Gesicht. Nein, das ist nicht psychosomatisch, aber Angst hatte ich schon, habe ich immer noch. Ich weiß nicht, wie ich die letzten Wochen durchgestanden habe, die letzten zwei Jahre. Schon als ich das
Gleiwitz
-Projekt begonnen habe, war ich verstört, verstehen Sie? Es war, als würde mir mein Vater über die Schulter gucken, Junge, du machst endlich einen wichtigen Film, einen, der dich was angeht, nicht nur diese Unterhaltungsscheiße. Ich habe nächtelang nicht geschlafen, ich hatte dauernd so fiktive Gespräche mit Leuten aus dem Geschäft, was da alles schiefgehen kann, dann kamen auch die Fantasien dazu, danach bei der Premiere ausgebuht zu werden, von Studio zu Studio zitiert zu werden, weil das ganze Geld in einem Groschengrab steckte, derFilm sollte ja erst gar nicht so teuer werden, dachte ich, ich hätte das wissen müssen, aber ich war so sehr drin, so sehr ins Thema vertieft, dass es schmerzt. Und wie das Publikum reagieren wird, das stelle ich mir bei jeder Szene vor, wenn ich die immer neuen Drehbuchfassungen lese, und als Ridley erst mit seinem Star kam. Ich weiß nicht, ob das alles klappt, wissen Sie, manchmal habe ich richtig Angst, das fühlt sich an, als würde jemand meine Eingeweide auf einer Spindel aufrollen. Ich habe einfach keine Distanz. Ich kann dann meine Mutter hören, ich war drei, damals, es kann also alles auch Einbildung sein.