Traeumer und Suender
die HauptstraÃe ein.
«Ralph wird uns schon finden. Viele böse Dinge beginnen mit einem Missverständnis, mit etwas nicht Ausgesprochenem. Ich mag Sie, nein, lassen Sie mich ausreden, ich mag Sie sehr, genau so, wie Sie sind. Eine Weile hab ich gedacht, was würde passieren, wenn ich Ihnen das sagen würde, dass ich für Sie fast wie für einen Sohn empfinde? Sie sind kritisch mit mir gewesen, das hab ich nicht oft gehabt in meinem Leben, zumindest nicht in den letzten Jahren. Da kann höchstens Ralph noch mithalten, wenn es darum geht, mich mal zu drangsalieren. Nein, wirklich! Sie fordern mich heraus, das ist das Geheimnis guter Beziehungen, dass man sich gegenseitig etwas abverlangt. Sie können das! Haben Sie über unser Gespräch neulich nachgedacht? Ãber mein Angebot?»
Das Läuten seines Telefons, ein fröhliches Froschkonzert, unterbrach die Ansprache und enthob den Interviewer einer Antwort.
«Die Kidman ⦠Was? ⦠abgereist. Was? Einfach weg, das ist doch unglaublich! Diese ⦠elende ⦠ja, ja ⦠Schabracke! Was? Ich glaub es nicht. Da bemüht man sich jahrelang ⦠sie, ja ⦠Jahre! Nein, jetzt hören Sie zu ⦠Sie ⦠Das können sie nicht mit uns machen, das ⦠das ⦠und sagen Sie ihr, sie ⦠ich habe sie gemacht ⦠ich ⦠ja ⦠auch ⦠ja ⦠aber ⦠nein, sagen Sie ihr, sie soll noch mal nachdenken, sie ⦠nein, nein â¦Â»
Der alte Mann zitterte und wurde erst rot und dann weià im Gesicht. Er griff sich an die Brust, stammelte weiter ins Telefon, lieà es dann fallen. Es zersplitterte in seine Einzelteile.
«Ralph!» der Ruf wurde von einem eigenartigen Gurgeln verschluckt. Als hätte sich im Körper des Produzenten plötzlich ein Strudel aufgetan, der alles mit sich riss. Sein erhobener Arm, der eben noch das Telefon gehalten hatte, fiel herab und baumelte wie ein aus dem Netz geschnittener toter Fisch am Körper. Er versuchte etwas zu sagen, aber es kam nur Röcheln heraus. Ungläubig sah der alte Mann zuerst den Arm, dann den Interviewer an. Dann sackte er plötzlich zusammen. Der Interviewer sprang sofort auf ihn zu. Zwei Passanten, die gerade aus einem Papiergeschäft kamen und in die Corso Ercole dâEste gebogen waren, stürzten auf ihn zu. Der alte Mann fiel nach vorn, in ihre Arme, der Interviewer wusste nicht, wer den plötzlich zusammengeklappten Körper des Produzenten zuerst aufgefangen hatte, es war auch egal; sie fingen ihn auf, bevor sein Kopf das Pflaster berührte. Dann legten sie ihn vorsichtig ab. Der Interviewer stand auf und brüllte in Richtung des Cafés, in dem sie ihn zurückgelassen hatten: «Ralph!»
Der war gerade von der Piazza Tasso eingebogen, balancierte zwei Pappbecher mit Kaffee. Wahrscheinlich hatte es deshalb so lange gedauert â niemand trank hier seinen Espresso oder Cappuccino to go. Er warf die Becher weg. Der Interviewer sah alles absurd verlangsamt. Die Schaumwelle aus dem einen Cappuccinobecher, der aufgerissene Mund Ralphs, seine Krawatte, die sich in Bewegung setzte und nach hinten flog.
Dann hatte Ralph auch schon die fünfzig Meter im Sprint zurückgelegt und drückte ihm sein Jackett in die Hand. «Kommen Sie, legen Sie ihm das unter den Kopf, ich rufe den Arzt.»
Die beiden Passanten unternahmen es, den alten Mann hinzulegen.
Ralph hatte sein Telefonino aus der Hose gezogen, fastblind getippt und gleich in das verschwindend kleine elektrische Ding gesprochen, hektisch, erst in English,
Itâs an Emergency
, dann in breitem amerikanischem Italienisch
Aiuta me
.
«All Castello, Castello, capisch? Pronto, subito, pronto!», hatte der groÃe Mann zum Schluss gebrüllt, sein Mund verzog sich zitternd. Dann richtete er das Handy wie eine Waffe auf die Aufnahmetasche des Interviewers und wechselte ins Deutsche. «Und schalten Sie endlich das Ding ab, ja?»
Ralph kniete sich neben den Produzenten und schob die beiden Italiener zur Seite. Dann nahm er den Kopf des alten Manns vom Jackett in seine beiden riesigen Hände und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. «Donât die on me, man. Please, donât die.»
V.
Mit diesem Andrang hatte er nicht gerechnet. Auch nicht damit, dass er plötzlich, als er die Kirche betreten hatte, von den Trauerhostessen, die die Produktionsgesellschaft strategisch im Mittelschiff verteilt hatte, bis ganz nach
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