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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Goeritz
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und Flugbrille das Gemächt gekürzt wird, eine alte Vorbereitung auf das Todesurteil in allen Kulturen, gar nicht so falsch gedacht, will ich meinen. Und heute tragen so viele junge Männer in ihrem Alter stolz diese Lederkriegerjacken, kleine Alltagskrieger. Na ja, Hugo Boss hat ja auch die deutschen SS-Uniformen geschneidert, auf die die Mädels in den besetzten Gebieten dann angeblich so standen. Aber lassen Sie uns für eine Weile aufhören mit dem Schrecklichen.»
    Das Schloss kam immer näher. Die Sonne hatte sich bereits in die Mauern gebrannt, einen merkwürdigen warmen Orangeton aus ihnen hervorgezaubert. Immer noch hingen Fetzen vom Morgennebel zwischen den Häusern. Ihre Schritte knirschten auf den alten Steinen.
    Â«Sie haben gestern gedacht, das ist eine Katastrophe, nicht wahr? Aber in der Katastrophe zeigt sich, wer man ist. Manmuss in Momenten, in denen einem die Zukunft wie ein schwarzes Loch erscheint, wieder anfangen zu planen, man darf sich dem Schock nicht überlassen, sonst fällt man durch die Ritzen der Welt.
    Es sind diese letzten sieben Minuten von
L’eclisse
, die mich bei Antonioni immer am allermeisten beeindruckt haben. Die Ecke, an der die Frau immer steht, in diesem hässlichen Neubaugebiet mit den rauschenden, in Staub getauchten Bäumen, und auf Alain Delon wartet, der einen jungen Börsenmakler spielt, mit dem sie eine Affäre hat. Und man sieht, wie trostlos das alles ist, die versuchten Berührungen, Küsse, die nur eine Begegnung von Haut, Sex, der nur das Abschmirgeln von Fleisch zu sein scheint, obwohl beide etwas ganz anderes wollen, all diese leidenschaftslose Enttäuschung. Das ist ihr Michelangelo, das ist das Ende. Und dann sind sie eines Tages nicht mehr da. Weder sie noch er warten an der Ecke, nur der Tag geht einfach so weiter. Der Bus fährt, die alte Frau mit dem schiefen Gesicht wartet auf irgendwas und kneift die Augen zusammen, die Baugerüste ragen in den Himmel, ein Stück Holz treibt in einer Tonne. Die geometrischen Muster der Neubaubalkone, das Spalier der Lichtmasten. Es geht um das Loch in der Welt. Die beiden, die fehlen. Und man merkt plötzlich, dass sie auch vorher schon gefehlt haben, dass die Welt zwischen den Menschen genauso leer ist wie die Welt der Dinge, dass sie vielleicht selbst nur Dinge sind, die Geräusche von sich geben, wie bewegte Stangen im Wind. Und dann geht eine Laterne an, und die Kamera hält voll drauf. Und nur noch ein Wort scheint auf: FINI.
    Großartig. Ende. Das ist besser als all die Atomangst der Sechzigerjahre. Die nukleare Katastrophe, sagt Antonioni mit diesem Ende, hat es längst schon gegeben! Wir sind die Bomben, wir sind innerlich implodiert. Das soll mal einerbesser machen. Tarkovskij vielleicht, aber den schaut heute ja auch keiner mehr.
    Der Nebel in Ferrara, sagen die Leute, ist auch nicht mehr, was er mal war. Schauen Sie sich den Tag heute an, früher November, und obwohl es noch nicht einmal acht Uhr ist, bricht sich die Sonne schon ihre Bahn durch die feuchten Schleier, sehen Sie, wie die Steine glitzern, was glauben Sie, wie das hinter uns aussieht, auf dem spitzpolierten rosaweißen Marmor am Diamantenpalast? Erinnern Sie sich an die Szene mit Malkovich, als er um die Ecke kommt und die Hand an den Steinen entlanggleiten lässt? Ja, natürlich. Sie haben recht, das war Wenders Idee, der hat die ganze Sache mit dem Regisseur als Verbindungsfigur zwischen den einzelnen Episoden eingefädelt. So richtig gut funktioniert das nicht. Ein Regisseur gehört hinter die Kamera, nicht davor – oder Sie müssen Fellini sein, um das interessant zu finden.»
    Der alte Mann hustete.
    Â«Sie wollen also mehr darüber wissen, was ich damit meine, wenn ich auch die Darstellung des Schreckens als Propagandamittel bezeichne? Ja, bei den Italienern ist das bis heute ziemlich interessant, die sprechen ja kaum vom Mörderischen ihres Faschismus. Die tragen eine doppelte Schuld. Sie haben ihre Verbrechen verdängt, haben sie versteckt unter dem scheinbaren Sieg der Demokraten am Ende, dabei hatte das nur einen sehr merkwürdigen katholischen Kommunismus zur Folge, der gar nichts von
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hatte, aber eben gut dazu taugte zu verharmlosen. Übrigens, Fernandel, den die Rolle von Don Camillo weltberühmt gemacht hat, war stockschwul! Bei den Dreharbeiten, ich weiß das von einem Freund, hat er immer einen Lover bei sich im

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