Traeumer und Suender
gehen wir noch kurz auf den
Piazza Torquato Tasso
. Der ist ein kleines Juwel. Gar nicht besonders schön, nur so eine kleine Ecke, wo man sich von der GröÃe der Paläste, deren Mauern und Fenster einen ja zugleich einladen und abweisen, eine Weile ausruhen kann. Kommen Sie, setzen wir uns, hier auf die Bank. Ich kann nicht mehr. Ferrara ist die Stadt der groÃen Sonettdichter gewesen, Boiardo, Ariosto, Tasso. Der Hof der Familie dâEste war ein richtiger Treffpunkt. Eine Zeit lang lebten die besten Künstler Italiens hier, Biaggio Rosetti, dieser Architekt, dachte sich seine ideale Stadt aus, vollkommen symmetrisch. Heute muss man an jeder Ecke, jedem rechten Winkel, aufpassen, dass man nicht umgefahren wird.»
Wie zum Beweis schoss jetzt eine Gruppe Fahrräder um die Ecke, Schulkinder, die wohl unweigerlich zu spät zum Unterricht kamen. Ralph hatte inzwischen zu ihnen aufgeschlossen, er trug eine Sonnenbrille und einen eleganten schwarzen Anzug mit Krawatte. Er sah aus wie ein Leibwächter. Der alte Mann schickte ihn ins Café auf dem Tassoplatz, zwei Cappuccini to go. Während sie an der Ecke warteten, erzählte der alte Mann weiter.
«Wussten Sie, dass Tasso, eigentlich angestellt als Geschichtsschreiber am Hof, während er seine Schäferdramen schrieb, seine Briefe, seine Gedichte, sich immer mehr in einen Verfolgungswahn hineinsteigerte, bis er sich selbst an die Inquisition auslieferte? Saà sieben Jahre in einer Anstalt, irrte dann umher, fürstlich unterstützt, aber wahnsinnig wie ein Wolf, frömmelte nur noch und verhunzte sein Kreuzzugsepos. Sehen Sie, es ging nicht nur Ridley so. Selbst den Gipfel seines Ruhms hat er nicht mehr erlebt. Er sollte â wie Petrarca vor ihm â auf dem Kapitol in Rom zum Dichter gekrönt werden. Starb einen Tag vorher. Ja, das Leben groÃer Leute kommt uns immer so schön vor, selbst ihr Leiden â wenn man sie denn überhaupt noch kennt. Man denkt, wie toll, der setzt sich hin und schreibt, die tanzt, der inszeniert, der macht Filme. Aber die Wirklichkeit ist nicht so. Die besteht aus Schmerzen und Angst. Da müsste man Seiten um Seiten füllen, um zu erzählen, welche Werke nicht gelingen, manchmal nur, weil jemand das Geld nicht hat, oder er leidet an Krankheiten, dem Widerstand seiner Gegner, kommt nicht mehr an gegen die Schwächen des eigenen Körpers oder er scheitert an der Unzulänglichkeit des Materials.
Aber daraus etwas zu machen, das echt ist und nicht verkitscht, schwierig, schwierig, das gelingt selbst den Besten oft nicht. Wir wollen Siege sehen. Triumphe. Aber warum erzähle ich Ihnen das, mein Lieber, Sie wissen das alles. Tasso hat ein Gedicht geschrieben, ja, da staunen Sie, nicht? Der alte Mann und Gedichte. Aber ich war auch mal jung. Und die Leidenschaft und die Liebe, das sind keine Dinge, die man im Alter verlernt. Das dürfen Sie nicht glauben. Und so schrieb Tasso denn ein Sonett darüber. Und ich kann es, ob Sie es glauben oder nicht, tatsächlich auswendig.
Quando vedrò nel verno il crine sparso
aver di neve e di pruina algente,
e âl seren del mio giorno, or sà lucente,
col fior de gli anni miei fuggito e sparso;
Schön, nicht? Aber was folgt über die Liebe und das Altern, das ist so wahr, so wahr. Hat ein Freund für mich übersetzt.
Wenn sich dereinst im Winter mein Haar
mit Schnee und Eis und Reif bedeckt
und meine Tage, die noch heiter sind und licht,
verschwinden und verstrichen mit der Blüte der Jahre,
will ich mit deinem schönen Namen,
mit Lob, mit meiner Liebesglut nicht sparen:
kein Frost soll je die Flamme, die mich sengt,
abkühlen und verlöschen lassen.
Gleich ich auch einem heiseren Vogel aus dem Sumpf,
so werde ich an deinem stolzen Fluss doch singen
wie der Schwan, wenn seine Todesstunde kommt,
und wie die Kerze, die vor ihrem Ende noch einmal
leuchten will mit allerletzter Kraft, wird meine Flamme
dann heller aufleuchten als je zuvor.
Ich kann Sie fast grübeln hören: Was will der Alte denn jetzt schon wieder von mir? Erst feuert er los, dass sich die Balken biegen, und dann wird er sentimental. Es tut mit leid, ich kann sehen, wie Sie das beschäftigt. Nein, ich will Sie nicht auslachen. Ganz im Gegenteil. Ich möchte verhindern, dass wir uns missverstehen. Mensch, dauert das mit dem Kaffee, kauft der den ganzen Laden auf, oder wie? Kommen Sie, lassen Sie uns weitergehen.»
Sie bogen wieder in
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