Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
völlig aus. Ich höre sie johlen und pfeifen und jubeln und jemand anderen mitsingen. Verdattert klappe ich die Augen auf. Ist das etwa Nate?
Verdutzt schaue ich zu, wie er auf die Bühne gezerrt und geschoben wird, man ihm ein Mikrofon in die Hand drückt und er mit entgeistertem Gesicht gezwungen wird mitzugrölen. Gequält guckt er mich an, während er zu meiner Olivia-Newton-John-Nummer den John Travolta gibt: »You’re not the one that I want, ooh, ooh, honey …«
Das Publikum tobt, als wir uns quer über die Bühne schief angrinsen. Vergessen Sie Duette, wir singen ein Duell. Das Karaoke-Äquivalent eines Kampfs bis aufs Messer. Dem werde ich es schon zeigen. Nimm das! Aufgeputscht vom Adrenalin, das durch meine Adern pulsiert, schmettere ich ihm eine
Zeile entgegen. Dem werde ich es zeigen. Nimm das! Das Mikrofon fest umklammert, haut er mir ebenfalls eine Zeile um die Ohren.
Hin und her, hin und her …
»Entschuldigung.«
Bis mitten in unserer kleinen musikalischen Kampfeinlage plötzlich die Musik ausgeht und ich eine Stimme höre. Es ist der Barkeeper. »Leute, euer Abschleppwagen ist da.«
Dreißigstes Kapitel
»Tja, das war’s dann wohl.«
Wir laufen gerade in New York durch das Gate am Flughafen JFK und in die geschäftige Ankunftshalle, als Nate sich zu mir umdreht.
»Na hoffentlich«, mahne ich zur Vorsicht.
»Ach, jetzt sag bloß nicht, die Legende könnte mich einholen«, zieht er mich auf, wackelt mit dem Zeigefinger, wie der Erzähler einer Gruselgeschichte, und summt die Titelmelodie von Twilight Zone .
»Ha, ha, sehr witzig.«
»Ach, na komm schon«, neckt er. »Erwartest du allen Ernstes, dass ich dir das glaube?«
»Natürlich nicht«, meine ich achselzuckend. »Du glaubst mir ja nie was.«
Er nickt, als wolle er sagen: Ja, stimmt , dann zieht er den Kopf ein und hält sich die Stirn. Aus einer Blisterpackung Ibuprofen nimmt er zwei Tabletten, die er sich in den Mund steckt und mit einem kräftigen Schluck aus seiner Evian-Flasche hinunterspült. »Warum zum Geier hast du mich mit dem Wodka angefixt?«
»Warum zum Geier bist du gegen den Baum gefahren?«
»Übrigens, es wäre mir sehr lieb, wenn du nicht überall rumposaunen würdest, dass ich, du weißt schon …«, er senkt die Stimme zu einem Flüstern, »… Karaoke gesungen habe .«
»Ach, so schlimm warst du doch gar nicht«, bemerke ich spöttisch.
Worauf er mich finster anfunkelt und den Mund aufmacht,
um zurückzustänkern, doch das Klingeln seines iPhones kommt ihm dazwischen. »Das ist mein Fahrer«, murmelt er mit einem Blick auf die Anzeige. »Er steht draußen.«
»Bye«, sage ich und winke ihm zum Abschied kurz zu. »Hoffentlich sehen wir uns so bald nicht wieder.«
»Ganz bestimmt nicht«, gibt er sehr entschieden zurück. »Und ich vergesse sicher auch, dir eine Weihnachtskarte zu schicken.« Und dann wirft er seine Reisetasche über die Schulter, dreht sich auf dem Absatz um und marschiert von dannen, um gleich darauf im Getümmel unterzutauchen.
Einen Moment schaue ich ihm hinterher und kann kaum glauben, dass es nun endlich vorbei sein soll, dass er wirklich auf Nimmerwiedersehen weg ist. Verschwunden, in Luft aufgelöst, wie bei einem Zauberkunststück. Ein wunderbar hoffnungsfrohes Prickeln durchfährt mich. Nach so vielen enttäuschten Hoffnungen, so vielen Fehlstarts fällt es schwer zu glauben, dass ich ihn nun ein für alle Mal los bin. Es ist fast wie in der Geschichte von dem Jungen, der immer »Wolf« schreit, obwohl keiner da ist, und schließlich glaubt ihm keiner mehr. Bloß dass Nate immer »Es ist Schluss!« trompetet hat. Aber nein, er ist tatsächlich weg, wie ich mich mit einem Blick in die Menschenmenge versichern kann. Er kommt nicht wieder zurück.
Erleichtert sacke ich in mich zusammen. Vielleicht hatte Nate ja doch recht – vielleicht habe ich mich zu sehr in die Geschichte von der Legende reingesteigert, in diesen Zauberkram und die Sprüche und den ganzen Hokuspokus. Deutlich optimistischer gestimmt nehme ich meine Reisetasche vom Gepäckband und spaziere beschwingten Schrittes nach draußen, um ein Taxi nach Hause zu nehmen. Vielleicht ist das jetzt wirklich, endlich, zu Ende.
Zu Hause angekommen, schließe ich die Wohnungstür auf und pralle augenblicklich mit Robyn zusammen, die hektisch wie ein kopfloses Huhn in der Küche herumrennt.
»Hey! Da bist du ja wieder«, begrüßt sie mich grinsend und nimmt mich fest in den Arm. »Wie war’s?«
»Interessant«,
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