Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
was ist denn mit meiner Zunge los? Die fühlt sich auf einmal an wie Wackelpudding.
»Okay, tja, dann beweise es doch«, fordert er mich heraus.
»Dir brauche ich überhaupt nichts zu beweisen«, gebe ich zurück und stiere Nate finster an. Eigentlich sind es sogar zwei Nates, denke ich, weil ich schon doppelt sehe.
»Ha!«
»Ha?« Bemüht, ihn scharf anzusehen, straffe ich entschlossen die Schultern. »Was soll das denn heißen?«
»Das soll heißen, du weißt, dass ich recht habe«, erklärt er arrogant.
Das war’s. Mir reicht’s. Ich weiß nicht, ob es am Wodka liegt oder an seinem selbstgefälligen Grinsen oder daran, dass ich nun schon seit über vierundzwanzig Stunden mit ihm zusammen auf Martha’s Vineyard festsitze, dazu die vergangenen Wochen, zuzüglich der vergangenen zehn Jahre … mir platzt endgültig der Kragen.
Also gut, das genügt. Dem werde ich es zeigen.
»Okay, wie du willst«, blaffe ich ihn an und stelle mich heldenhaft der Herausforderung. »Lausche und krieche zu Kreuze.« Und ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, rutsche ich vom Barhocker und marschiere todesmutig zu Mikrofon und Lautsprecher, die in einer Ecke des Pubs aufgebaut sind. Hinter mir höre ich den Barkeeper johlen: »Auf sie mit Gebrüll!«, und ich recke das Kinn und bahne mir den Weg zwischen den Tischen hindurch.
Wobei ich versehentlich den einen oder anderen ramme. »Hoppla, Verzeihung.« Ich lächele liebreizend, während die Leute ihre Getränke festhalten, damit die Gläser nicht umkippen. Ach du lieber Himmel, ich bin ganz schön beschwipst. Um ehrlich zu sein, bin ich sogar ziemlich angeschickert. Der
Boden unter mir wankt bedenklich, und ich muss ein paarmal tief durchatmen. Sagen wir lieber, sturzbetrunken .
Als ich endlich bei den Lautsprechern ankomme, fragt mich eine vollbusige Frau im Trägertop nach meinem Musikwunsch und reicht mir dann das Mikrofon. Normalerweise wäre ich jetzt schon ein Nervenbündel, aber es kommt mir fast so vor, als hätte ich eine außerkörperliche Erfahrung und keinerlei Kontrolle mehr darüber, was hier gerade geschieht. Irgendwas anderes steuert mein Hirn und meine Gliedmaßen, und dieses Etwas kennt keine Angst. Es strotzt nur so vor Selbstvertrauen.
Es nennt sich drei doppelte Wodka.
Unsicher schwanke ich zu der kleinen Behelfsbühne und stelle mich ins Scheinwerferlicht. »Ähm, Test, Test, eins, zwei, drei.« Probeweise tippe ich auf das Mikrofon. Na ja, machen die Leute das nicht immer? Der Effekt ist durchschlagend. Die Leute hören prompt auf zu reden und drehen sich höchst interessiert zu mir um. »Das hier ist für meinen Exfreund Nathaniel.« Ich sehe, wie er mir im Halbdunkel ein verzweifeltes »Nein, nein, nein« zugestikuliert. »Er sitzt da drüben an der Theke.«
Wie auf Kommando drehen sich alle um und schauen Nate an. Wie er sich so plötzlich und unvermittelt im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses wiederfindet, guckt er so entsetzt wie ein Kaninchen vor der Schlange.
»Es ist ein Klassiker von Grease «, fahre ich unbeirrt fort. »Ich glaube, Sie kennen ihn alle.« Zustimmendes Gemurmel ist zu hören, und getragen von meinem neu gefundenen Selbstvertrauen, mit freundlicher Genehmigung von Smirnoff, stelle ich es vor. »Es heißt ›You’re the One That I Want‹.«
Alle tuscheln anerkennend.
»… aber heute Abend möchte ich den Text ein bisschen abändern …« Ich halte kurz inne und lasse den Blick über mein
bescheidenes Publikum schweifen. Alle schauen mich erwartungsvoll an. Anscheinend habe ich ihre Neugier geweckt. »Heute Abend bist du der, den ich ganz bestimmt nicht will – ›You’re the One That I Don’t Want‹!«
Es wird gelacht, gegrölt, und einer pfeift sogar. Drüben an der Bar sehe ich, wie Nate sich vor nackter, schierer Scham windet, und dann dröhnen die ersten Akkorde aus den knarzenden Lautsprechern.
Los geht’s!
Ich hole einen tiefen, trunkenen Atemzug und lege los. Zuerst klinge ich noch ein bisschen wackelig, aber bald läuft es wie geschmiert. Es macht sogar richtig Spaß, Nate aus voller Kehle ein Ständchen zu trällern. Vor allem, als die Zuhörer beim Refrain in das »ooh, ooh, Honey« einstimmen. Ich komme mir vor wie Leona Lewis oder Mariah Carey oder eine der anderen großen Diven, denke ich und schließe andächtig die Augen, wie die Kandidaten bei X Factor es auch immer machen. Mit einem wohligen Kribbeln schnappe ich mir das Mikro und lege richtig los.
Wow, und dann flippt die Menge
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