Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
Körper ist wie ein Auto, das eine Panne hat, und man muss sich überlegen, wie man ihn am besten wieder repariert.«
»Aber wir reden hier nicht über ein Auto – wir reden über Jeff«, werfe ich hitzig ein.
»Darüber bin ich mir durchaus im Klaren, Lucy«, fährt sie mich an, und zum ersten Mal merkt man ihr die Anspannung an.
Ich verstumme. Ich weiß nicht so recht, was ich tun oder sagen soll, um sie zu trösten. Ich weiß, dass sie das alles sehr mitnimmt, doch sie will es auf Teufel komm raus verstecken. Sie weigert sich hartnäckig, irgendjemanden hinter ihre Starke-große-Schwester-Fassade schauen zu lassen, mich am allerwenigsten. Es ist frustrierend. Ich fühle mich so schrecklich hilflos.
»Und wie geht Jeff damit um?«, erkundige ich mich schließlich.
»Der war auch schon besser drauf. Wie man sich denken kann. Seine Hauptsorge scheint allerdings zu sein, dass er nach der OP eingleisig fahren muss.« Sie zieht eine Augenbraue hoch. »Aber der Arzt hat ihm gesagt, dafür gibt es Implantate.«
»Implantate?«
»Anscheinend. Ich weiß ja nicht, ob es die auch in verschiedenen Größen gibt, wie Brüste. Mein Mann mit dem Doppel-D-Hoden.« Sie grinst schief über diesen bescheidenen Versuch, einen Witz zu reißen.
Wir müssen beide lachen, es klingt jedoch irgendwie unecht. Wir reden hier über Krebs und über Jeff, und es ist etwas, das ihr gesamtes gemeinsames Leben bedroht, aber das will sie nicht wahrhaben, und deshalb bohre ich nicht weiter nach.
Nach dem Essen verabschieden wir uns, und Kate tut weiter hartnäckig, als sei das alles halb so wild. »Jetzt mach hier nicht so einen Wirbel«, protestiert sie. »Es wird alles gut.«
»Ja klar, natürlich«, beeile ich mich, ihr zuzustimmen. »Ich meinte ja auch nicht … Hör zu, wenn du irgendwas brauchst, egal was … Wenn du möchtest, dass ich mit ins Krankenhaus komme, dich mit schlechtem Automatenkaffee versorge …«
»Dann rufe ich dich an.« Sie nickt kurz, sodass gleich klar ist, dass sie unter keinen Umständen beabsichtigt, von meinem Angebot Gebrauch zu machen und meine Hilfe in Anspruch zu nehmen.Weder meine noch die von irgendjemand anderem.
Sie zieht sich den Riemen ihrer Tasche über die Schulter und will sich gerade umdrehen, als ich sie einfach, ohne nachzudenken, fest in den Arm nehme. Ich kann nicht anders. Ihrer stacheligen Abwehrhaltung und der eisernen Schutzrüstung zum Trotz kommt sie mir unter ihrem Baumwolljäckchen klein und zerbrechlich vor.
Sie wird stocksteif und windet sich unbehaglich aus meiner Umarmung. »Ach, und Lucy, sag Mum und Dad nichts davon. Du weißt ja, dass die immer gleich ganz krank werden vor Sorge.«
»Ja, klar.« Ich nicke und denke, dass das mal wieder typisch Kate ist. Nie will sie irgendwem zur Last fallen. Immer will sie alles allein schaffen. »Ich sage kein Wort.«
Wir verabschieden uns, und ich trotte zurück zur U-Bahn und gehe die Treppe hinunter und bleibe dann unvermittelt stehen. Mir ist nicht danach, nach Hause zu gehen, mir ist mehr nach Laufen, also drehe ich mich um und gehe die Treppe wieder nach oben zurück. Ich habe kein Ziel, keine Ahnung, wo ich eigentlich hinwill. Ich laufe einfach los, achte nicht auf meine Umgebung, auf die Menschen, an denen ich vorbeigehe, die Läden rechts und links von mir. Den Blick stur auf den Boden geheftet, konzentriere ich mich allein darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen; der Rhythmus meiner Schritte treibt mich an, immer weiter, wie ein Metronom den Musiker.
Ich denke nach über Jeff und Kate. Über den stoischen Gleichmut meiner Schwester, ihre flapsigen Bemerkungen, den sarkastischen Humor, der nicht den Schatten der Angst
überspielen konnte, den ich in ihren Augen gesehen habe. Darüber, wie es Jeff wohl gerade gehen muss. Ich versuche, es mir vorzustellen, aber das kann ich natürlich nicht. Wie denn auch? Hier geht es um Leben oder Tod. Nicht um irgend so eine blöde Legende über Seelenverwandtschaft. Ich schäme mich richtig, wenn ich nur daran denke. Das rückt alles in eine ganz andere Perspektive.
Ich weiß nicht, wie lange ich so durch die Stadt gelaufen bin, aber irgendwann spüre ich, dass mir allmählich die Beine wehtun. Als ich ein bisschen langsamer werde, merke ich, dass ich unversehens vor einem großen Kunstmuseum stehe: dem Whitney auf der Madison Avenue. Es kommt mir vor wie ein glücklicher Zufall. Museen sind für mich immer Zufluchtsorte, an denen ich Trost suche. Und immer geht es mir dort
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