Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
oder würde je wieder dem anderen derart hoffnungslos verfallen sein.
Wie falsch ich damals lag, wird mir nun lebhaft vor Augen geführt, als ich den Platz überquere. Venedig hat ein reges Eigenleben, eine überwältigende, bis heute lebendige Geschichte, die alles, was Nate und ich gemeinsam erlebt haben, überstrahlt und vollkommen in den Schatten stellt. Und einen ganz eigenen Zauber, der Liebende aus aller Welt magisch anzieht, geht es mir durch den Kopf, während ich den verliebt Händchen haltenden, vorbeiflanierenden Pärchen zuschaue, denen
es ganz bestimmt genauso geht wie damals Nate und mir. Als seien wir beide die einzigen Menschen auf der ganzen weiten Welt. Das ist der Zauber Venedigs – dass jeder sich ganz besonders und einzigartig fühlt.
Ich gehe wieder um eine Ecke und marschiere geradewegs hinein in das Gassengewirr. Zehn Jahre ist es her, seit ich das letzte Mal hier war. Ich habe mich verändert, die Stadt hingegen ist noch genauso wie damals. Ich laufe einfach los und schlendere ziellos durch die schmalen Sträßchen, genieße es, das Labyrinth der Kanäle wiederzuentdecken, die schattigen Piazze und die Geräusche und Gerüche, die Venedig ausmachen.
Bisher hat alles sich nur um Nate gedreht, ihn hierherzubugsieren, uns beide hierherzubugsieren, sodass ich gar keine Zeit hatte, darüber nachzudenken, wie es sein würde, tatsächlich wieder hier zu sein. In meinem Kopf war die Stadt schlicht und ergreifend der Tatort, der Ort des Grauens, die Ursache allen Übels, aber jetzt kann ich mich nicht dagegen wehren, dass ich mich ein zweites Mal verliebe.
Nur diesmal nicht in Nate, sondern in Venedig, denke ich, während ich mir einen der unzähligen prächtigen alten Palazzi anschaue. Den Namen kenne ich nicht, aber davor drängeln sich Dutzende von Paparazzi. Schließlich findet gerade das Filmfestival statt, und überall wehen die Banner, Plakate werben für Filme, Touristen laufen mit der Kamera im Anschlag herum und hoffen darauf, einen Filmstar vor die Linse zu bekommen. Angeblich wurde Penélope Cruz vor ein paar Stunden auf der Rialtobrücke gesichtet, und der Mann, bei dem wir im Hotel eingecheckt haben, hat Stein und Bein geschworen, Tom und Katie seien in Zimmer zwölf abgestiegen.
Was ich allerdings stark bezweifele. Sämtliche Promis sind im fabulösen Luxushotel Gritti untergebracht. Daran sind wir vorhin, als wir vom Flughafen kamen, mit dem Vaporetto vorbeigefahren, und ein ausladender roter Teppich führte vom
Bootssteg bis hinauf zur Sonnenterrasse gleich am Kanal. Es war jede Menge los, und Dutzende schwarz-weiß uniformierter Kellner wuselten wie ein Schwarm Pinguine herum, um alles für die große Filmpremierenparty herzurichten, die heute Abend stattfindet. Wobei ich keinen Schimmer habe, welcher Film da gefeiert wird.
Adam wüsste es bestimmt , meldet sich ein leises Stimmchen in meinem Kopf.
Wieder spüre ich dieses flaue Gefühl im Bauch. Ich habe krampfhaft versucht, nicht an ihn zu denken, aber jetzt sehe ich plötzlich sein Gesicht vor mir und muss daran denken, wie ich ihn das erste Mal gesehen habe, mit der Kamera und dem fellbezogenen Mikrofonfiffi in der Hand. Und an den Tag im MoMA, als er so begeistert von seiner Liebe zum Film erzählte. An den Abend, als wir uns in dem kleinen Programmkino getroffen haben, und wie aufgekratzt er war, mir seinen Lieblingsfilm zu zeigen. Dem würde es hier sehr gefallen, denke ich, während ich mich umschaue und das lebhafte Treiben des Festivals ringsum förmlich aufsauge.
Ganz kurz überlege ich, ihn einfach anzurufen und ihm zu erzählen, wo ich gerade bin.
Das wäre ziemlich witzlos, oder?Vermutlich würde er nicht mal ans Telefon gehen. Und selbst wenn, wie sollte ich ihm bitte erklären, was ich hier mache? Oh, hi, ich bin gerade beim Filmfestival in Venedig, mit Nate, und versuche, einen uralten Bann wieder rückgängig zu machen. Ich wünschte, du wärst auch hier!
Ja, genau, Lucy. Tolle Idee.
Ich gehe immer weiter. Die Traurigkeit tut weh, und ich versuche, mich ein bisschen aufzumuntern. Wenn das hier alles vorbei ist, vielleicht können wir ja dann da weitermachen, wo wir aufgehört haben … aber im Grunde meines Herzens weiß ich, dass das ein Wunschtraum ist. Er wird mir nie wieder vertrauen. Warum sollte er auch? Aber seien wir doch mal ehrlich,
es war vorbei, ehe es überhaupt richtig angefangen hatte. Was war denn schon? Ein paar Küsse, zwei Verabredungen, mehr nicht. Er wird sein Leben weiterleben,
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