Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
Entdecken von etwas Neuem, Wunderbarem.
Ganz sicher sind die Bilder großartig. Für Ehemänner und kaputte Fensterscheiben mag Magda kein gutes Händchen haben, aber was Kunst angeht, macht ihr so schnell keiner was vor.
Ich schaue mich in der Galerie um. Seit zwanzig Jahren schmeißt sie den Laden hier schon, seit sie ihn ihrem zweiten Ehemann bei der Scheidung abgeluchst hat, einem millionenschweren Immobilienmogul. Wobei sie offen zugibt, dass sie damals keine Ahnung von Kunst hatte und einfach so reingerutscht ist, kaufte, was ihr gefiel, was ihr ein Lächeln entlockte, und wegen dieses unorthodoxen Ansatzes ist ihre Galerie wirklich einzigartig.
Wenn man an Kunstgalerien denkt, dann stellt man sich eines dieser großen, imposanten weißen Lofts vor mit mehreren Stockwerken, aber Number Thirty-Eight ist im umgebauten Kellergeschoss eines gewöhnlichen Stadthauses untergebracht.
Die meisten Menschen laufen auf ihrem Weg zu den großen Designerläden einfach an uns vorbei und kämen nicht mal im Traum auf den Gedanken, den Blick durch das Treppengeländer nach unten in eins unserer Schaufenster wandern zu lassen. Nie entdecken sie das atemberaubende abstrakte Gemälde eines neuen Künstlers oder die Serie bemerkenswerter Lithografien, die Teil unserer letzten Ausstellung waren. Aber sollten sie sich zufälligerweise doch zu uns verirren und sich trotz ihres vollen Terminkalenders ein paar Minuten Zeit nehmen, dann werden sie immer wiederkommen wollen. Denn im Gegensatz zu diesen großen, nüchternen Galerien merkt man gleich in dem Moment, wenn man Number Thirty-Eight betritt und die Stereoanlage dröhnen hört, dass dies eine ganz neue Art ist, Kunst zu erleben.
Vergessen Sie Grabesstille und Geflüster – Magda lässt laute Musik laufen (sie hat einen eklektischen Geschmack; letzte Woche war es La Bohème , heute ist es Justin Timberlake), und dazu gibt es frischen Kaffee und Popcorn aus unserer Popcornmaschine. »Wie im Kino«, ruft sie den neugierigen Passanten zu, die hereinschlendern und unvermittelt mit der Frage konfrontiert werden, ob sie lieber Zucker oder Salz auf ihrem Popcorn möchten. »Hier können Sie dem Alltag entfliehen, sich unterhalten und Ihrer Fantasie freien Lauf lassen. Und das Beste ist, kein Tom Cruise!«
Magdas leidenschaftliche Abneigung gegen Tom Cruise (»Würde der auf meinem Sofa rumhopsen, ich würde ihn zu Hackfleisch verarbeiten !«) ist beinahe so groß wie ihre leidenschaftliche Liebe zur Kunst und ihr Wunsch, sie jedem frei zugänglich zu machen. »Immer dran denken, Gucken kostet nichts« ist ihr Mantra, und ihre Begeisterung ist so ansteckend, dass die Leute gar nicht anders können, als sich mitreißen zu lassen. In den wenigen Wochen, seit ich jetzt hier arbeite, habe ich schon etliche Stammkunden kennengelernt, die regelmäßig
herkommen und sich die Ausstellungen anschauen, ohne den Erwartungsdruck, etwas kaufen zu müssen. In so einer Galerie habe ich noch nie gearbeitet.
»Und ich habe mich entschlossen …«
Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf Magda, die eine Kunstpause für einen imaginären kleinen Trommelwirbel eingelegt hat.
»Ja?« Ich mache mich auf alles gefasst. Hier lernt man schnell, das Unerwartete zu erwarten.
»Dass es mal wieder Zeit wird für eine Vernissage. Um uns und unsere Künstler zu präsentieren. Die Türen aufzureißen.« Begeistert breitet sie die Arme aus. »Dieser fiesen Rezession einfach ins Gesicht zu spucken!« Mit gekräuselter Oberlippe grinst sie mich an.
»Wow, ähm, prima«, rufe ich begeistert und winde mich innerlich ein wenig. »Tolle Idee.«
Insgeheim bin ich ein bisschen erleichtert. Die großherzige Haltung meiner Chefin zur Kunst in allen Ehren, aber wir sind weder das MoMA noch das Whitney. Wir müssen hin und wieder was verkaufen , wenn wir nicht irgendwann dichtmachen wollen. In den sechs Wochen, die ich nun schon hier arbeite, tendierten die Verkäufe gegen null, und langsam mache ich mir Sorgen um meinen Job.
Den ich nur deshalb bekommen habe, weil Rupert Magda aus alten Studio-54-Zeiten kennt, damals in den Siebzigern, als er zwischenzeitlich mal in New York gelebt hat. Als er mitbekam, dass sie ein bisschen Hilfe gebrauchen könnte, hat er mich vorgeschlagen. Er wusste, dass ich mir die Chance, in New York in einer Kunstgalerie zu arbeiten, nicht entgehen lassen würde. »Außerdem bin ich Magda noch einen großen Gefallen schuldig«, hatte er mir gestanden, ohne sich weitere Details entlocken zu
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