Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
lassen.
Wobei ich nie auf die Idee gekommen wäre, ihm irgendwas
aus der Nase ziehen zu wollen. Mal ganz unter uns, allein das Wissen, dass Rupert mit seinem marineblauen Blazer, den Goldknöpfen und dem Siegelring mal in diesem weltberühmten und nicht minder berüchtigten Club die Nacht zum Tag gemacht hat, übersteigt beinahe mein Vorstellungsvermögen.
»Wir servieren Wein, Champagner …«, sprudelt es aus ihr heraus, aber dann runzelt sie die Stirn. »… na ja, vielleicht keinen echten Champagner, Sekt dürfte es auch tun.« Dank der großzügigen Abfindungssumme, die ihr bei ihrer Scheidung zugesprochen wurde, ist Magda eine reiche Frau, aber sparsam ist sie trotzdem. »Mal ehrlich, wer merkt da schon den Unterschied?« Mit ausgestreckten Händen schaut sie mich fragend an.
Menschen, die hunderttausende von Dollars für Kunst ausgeben, bin ich versucht zu antworten, aber sie galoppiert längst weiter.
»Und Essen, wir brauchen jede Menge Essen«, zwitschert sie und greift nach einem Bagel, überlegt es sich wieder anders und legt ihn zurück. Obwohl sie alle anderen ständig zum Essen nötigen will, habe ich bisher noch kein einziges Mal gesehen, dass Magda irgendwas Essbares über die verdächtig üppigen Lippen ging.
»Sie meinen Kanapees?«
»Was sind denn Kanapees? Ich dachte, da setzt man sich drauf.«
»Das sind zum Beispiel Mini-Quiches«, schlage ich vor. »Oder wir servieren Sushi – das kommt immer gut an.«
»Pah! Sushi!« Verächtlich rümpft sie die Nase. »Ich verstehe nicht, was alle mit diesem Sushi haben. Kleine Stückchen roher Fisch mit Reis.«
»In London haben wir mal bei einer Vernissage Sushi und Sake serviert, und es war ein voller Erfolg.«
»Nein.« Missbilligend schüttelt sie den Kopf. »Bei uns gibt es Hackfleischbällchen.«
Im ersten Moment glaube ich, ich muss mich verhört haben.
»Hackfleischbällchen?«, frage ich ungläubig. Der Gedanke, Menschen zu einer Vernissage einzuladen und dann Hackbällchen zu servieren, ist in der Kunstwelt beinahe undenkbar. Ich versuche mir vorzustellen, wie Rupert ein Hackbällchen isst, während er ein Aquarell von Lady Soundso bewundert.
Was mir seltsamerweise nicht gelingt.
Um ehrlich zu sein, Rupert würde vermutlich einen Herzinfarkt bekommen, würde man in seiner Gegenwart das Wort »Hackbällchen« bloß erwähnen.
»Ja, die mache ich selbst. Nach einem Spezialrezept«, erklärt Magda entschieden. »Das wird wunderbar. Meine Hackfleischbällchen sind berühmt.« Sie unterbricht sich. »Was denn? Glauben Sie mir das etwa nicht?«
Jäh aus meinen Gedanken gerissen, sehe ich, wie Magda mich entrüstet anschaut.
»Oh, ähm, ja, klar glaube ich Ihnen das«, versichere ich hastig. »Sicher sind die ganz köstlich!«
Die Arme vor der Brust verschränkt, schaut sie mich mit bebenden Nasenflügeln an. Sie erinnert mich an einen gereizten Bullen, kurz ehe er angreift und losdonnert. Was ich deshalb so genau weiß, weil ich in der Nähe eines Bauernhofs aufgewachsen bin, wo es einen Bullen gab, der einmal beinahe einen Wanderer niedergetrampelt hat, der sich irrtümlich auf seine Weide verirrt hatte.
Und gerade fühle ich mich wie dieser arglose Wanderer.
»Hackfleischbällchen, mmmh «, zwitschere ich begeistert und durchforste hektisch mein Hirn nach irgendwas, das ich über Hackbällchen sagen könnte, und versuche verzweifelt, die Bilder aus der Schulkantine zu verdrängen. »Sehr … ähm … fleischig!«
Fleischig? Das war alles, Lucy? Mehr fällt dir dazu nicht ein?
Innerlich winde ich mich, aber sollte meine Chefin irgendwie Verdacht geschöpft haben, dann lässt sie sich nichts anmerken. Nein, ihre Mundwinkel kräuseln sich sogar nach oben, und ich sehe, wie sie sichtlich auftaut.
»Meine Leibspeise«, setze ich noch obendrauf.
Wenn schon, denn schon.
»Tatsächlich?«, fragt Magda, und ihr üppiger Busen hebt sich vor Stolz.
»Aber sicher doch.« Ich nicke und kreuze hinter meinem Rücken die Finger.
»Die könnte ich jeden Tag essen«, plappere ich munter weiter.
Jetzt, wo ich einmal damit angefangen habe, kann ich gar nicht mehr aufhören.
»Wirklich?« Magda strahlt wie eine Hundert-Watt-Birne.
»Aber ja«, versichere ich nickend. »Ehrlich gesagt, würde jemand mich fragen: ›Lucy Hemmingway, wenn du bis an dein Lebensende nur noch eine Sache essen dürftest, was wäre das?‹, dann wäre das nicht etwa Ben-and-Jerry’s-Chunky-Monkey-Eiscreme, oh nein.« Ich stemme eine Hand in die Hüften und
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