Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
wackele theatralisch mit dem Zeigefinger, wobei ich mir plötzlich ein bisschen vorkomme wie damals, als ich in einer Schulaufführung des gleichnamigen Musicals die Annie gespielt habe.
»Dynamisch«, so hat die Lokalzeitung meinen Auftritt bezeichnet. Meine Mum hat den ausgeschnittenen Artikel heute noch gerahmt im Gästeklo hängen, mit einem Foto von mir als Annie. Das eher unschmeichelhaft ist – ich trage eine Zahnspange und eine rote Lockenperücke, was mit dreizehn kein besonders schöner Anblick ist, und eigentlich möchte ich das nicht jedes Mal sehen, wenn ich zu Hause mal aufs Klo gehe.
Weshalb ich als Teenie jeden männlichen Besucher, platzender
Blase zum Trotz, immer geradewegs zur Tür hinausschleuste.
»Nein. Wissen Sie, was das wäre, Mrs. Zuckerman?«, frage ich und breite die Arme aus.
Ich bin jetzt voll im Pantomimenmodus, das ganze Programm samt übertriebener Gestik und vollkommen unglaubwürdiger Mimik. Und es macht mir einen Heidenspaß. Womöglich wäre ich besser zum Laientheater gegangen.
Hätte ich denn auch nur ansatzweise schauspielern können.
»Nein. Verraten Sie es mir«, wispert Magda erwartungsvoll.
»Hackfleischbällchen!«, verkünde ich dramatisch. »Nichts als Hackfleischbällchen!«
O.k. Womöglich habe ich ein bisschen zu dick aufgetragen.
Aber erstaunlicherweise strahlt Magda, als sei heute schon Weihnachten. Oder vielmehr Chanukka.
»Ach, Lutzi.« Sie ergreift meine Hand und hält sie mit ihren winzigen, ihrem Exehemann sei Dank, diamantenbesetzten Fingern fest umschlossen. »Wären Sie jüdisch, ich würde Sie anflehen, meinen jüngsten Sohn zu heiraten, Daniel. Nichts könnte mich glücklicher machen.«
»Oh … ähm, danke schön.« Unsicher lächele ich sie an und weiß nicht, wie ich auf dieses Kompliment reagieren soll.
Magda hatte, kaum hatte ich eine halbe Stunde bei ihr gearbeitet, schon raus, dass ich Single bin. Noch am selben Tag hatte sie einen vollständigen Bericht meiner bisherigen Beziehungen seit der Grundschule verlangt, und als wir abends die Galerie abschlossen, hatte sie sämtliche meiner Exfreunde zu hoffnungslosen Schmocks erklärt.
»Ihr beide wärt das perfekte Paar«, seufzt sie, greift in ihre riesige Handtasche und nimmt ein kleines Büchlein heraus, das aussieht wie eine Ziehharmonika und das sie dann gleich aufklappt. Es ist voller Familienfotos. »Schauen Sie mal! Das ist er!« Und damit hält sie mir ein Foto unter die Nase.
Ich starre das Bild an und erstarre vor Schreck.
Stellen Sie sich Austin Powers mit einer Kippa auf dem Kopf vor.
»Ich weiß, ein hübsches Kerlchen, was?« Voller Mutterstolz strahlt sie mich an, eine vollkommene Fehlinterpretation meiner Reaktion. »Schauen Sie sich nur diese grünen Augen an! Und dieses Lächeln! Haben Sie schon mal so ein Lächeln gesehen?«
»Ähm … wow«, stoße ich schließlich mühsam hervor und suche krampfhaft nach etwas Positivem, was ich dazu sagen könnte.
Nur um schließlich aufzugeben.
Also bitte. Ich bin nicht oberflächlich. Ich weiß, Äußerlichkeiten sind nicht wichtig, die inneren Werte zählen, aber, na ja …Verschämt gucke ich noch mal auf das Foto und die riesengroßen Hasenzähne.
Okay, was soll’s. Dann bin ich eben oberflächlich.
»Und dann auch noch Architekt!«, posaunt Magda. Ihre Brust ist so stolzgeschwellt, dass ich schon fürchte, sie könne platzen.
»Wow«, stammele ich abermals. Mein gesamtesVokabular ist zu einem einzigen Wort zusammengeschrumpft. Wobei Magda das nicht zu merken scheint. Die ist vollauf damit beschäftigt, das Foto ihres Sohnes anzustrahlen und mit dem Ärmel auf Hochglanz zu polieren.
»Aber leider, leider könnt ihr nicht heiraten. Der jüdische Glaube wird über die Mutter vererbt.« Sie stößt einen tiefen, von Herzen kommenden Seufzer aus. »Was gut ist für den Feminismus, aber schlecht für Sie und Daniel.« Geknickt schaut sie mich an.
»Das verstehe ich.« Ich nicke ernst, während ich innerlich einen kleinen Freudentanz aufführe vor Erleichterung. Inklusive Feuerwerk und Marschkapelle. Ich war immer überzeugte
Atheistin, aber in diesem Moment bin ich eine strenggläubige Christin.
»Das tut mir so leid«, versichert sie mir, noch immer betrübt den Kopf schüttelnd.
»Das ist schon in Ordnung, ich kann das verstehen«, versichere ich glaubhaft. Ich versuche, möglichst bedröppelt aus der Wäsche zu gucken, und muss gleichzeitig ein Kichern unterdrücken, das beinahe unaufhaltsam in mir aufsteigt.
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