Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
Blick ab.
»Wow, dann bist du ja genauso ein Frischling in der Stadt wie ich.« Er lächelt. »Wie gefällt es dir denn bis jetzt?«
»Ich finde es ganz toll.« Lächelnd halte ich ihm mein Glas hin, damit er mir nachschenken kann.
Unter keinen Umständen darf ich ihn fragen, ob er verheiratet ist. Ich muss völlig unbeteiligt wirken. Als wäre mir das piepegal. Als hätte ich seit Jahren nicht mehr daran gedacht.
»Ja, wirklich eine faszinierende Stadt. Beruflich war ich schon hundert Mal hier, aber hier zu wohnen ist was ganz anderes.«
»Ach, wirklich?«
Oder hätte versucht, seine Frau zu googeln, um rauszufinden, wie sie aussieht.
»Ja, weshalb ich auch ziemlich heiß darauf bin, mir alles anzuschauen, ein Gefühl zu bekommen für die Stadt, und nicht nur wie ein Tourist rumzulaufen.«
Und rein gar nichts gefunden hätte. Kein einziges lausiges Foto. Ich meine, man würde doch denken, sie wäre wenigstens bei Facebook.
»Und, wie ist das Eheleben so?«
Der Satz schlägt ein wie eine Rakete. Völlig ohne Vorwarnung kommt dieses Ding aus meinem Mund geschossen, prallt gegen seine Brust und landet zwischen uns auf der Theke. Im ersten Augenblick habe ich das absurde Gefühl, bloß daneben zu stehen, wie ein Passant, ein unbeteiligter Augenzeuge der unabwendbaren Katastrophe.
Und dann trifft mich die Erkenntnis wie ein Schlag.
Ach du lieber Himmel. Das habe ich doch nicht gerade tatsächlich laut gesagt. Das habe ich nicht gesagt.
Dreck. Dreck. Dreck .
Eine kleine Pause entsteht, während deren Nathaniel an seinem Wein nippt. Es kommt mir vor wie der Moment zwischen Absturz und Aufprall. Dieser Schreckmoment, in dem man dem unausweichlichen Aufschlag entgegensieht.
Er stellt das Glas ab und schaut mir in die Augen.
Bitte sag jetzt nicht, dass es ganz wunderbar ist. Unauffällig ballte ich unter der Theke die Hände zu Fäusten. Ich meine, du kannst ruhig sagen, dass es nett ist und ihr glücklich miteinander seid und so, damit kann ich leben, wirklich, aber bitte schwärme mir jetzt nicht stundenlang vor, wie wunderbar es ist, wie wunderbar sie ist.
»Wir lassen uns scheiden.«
Jetzt hat er eine Rakete abgeschossen. Karwumm . Einfach so.
Ungläubig glotze ich ihn an. Auf Dutzende von Antworten
war ich gefasst, auf beinahe alles, aber nicht darauf. Doch nicht auf das .
»Herrje, das tut mir aber leid«, entgegne ich rasch und durchforste hektisch mein Hirn nach etwas, das ich dazu sagen könnte, aber es ist fast, als stünde ich unter Schock. Und da ist noch was. Ein leiser Freudenschauer, der sich anfühlt wie die Nachwehen eines Erdbebens.
»Danke.« Wieder so ein wehmütiges Lächeln. »Es ist besser so. Beth und ich hätten gar nicht erst heiraten sollen.«
Ich verziehe keine Miene. Versuche, höchstens mäßig interessiert zu wirken, dabei hat jede Zelle meines Körpers sich in einen hochempfindlichen Empfänger verwandelt.
»Ich habe Beth in ihrem ersten Semester an der Uni kennengelernt, und sie war das genaue Gegenteil von mir – sie war laut und selbstbewusst, der strahlende Mittelpunkt jeder Party … Wir haben uns gestritten wie die Kesselflicker.«
Während er mir das erzählt, versuche ich es mir vorzustellen. Nate? Der sich streitet wie ein Kesselflicker? Es gelingt mir nicht. Er war doch immer so gutmütig, so gelassen. Ich glaube, ich habe kein einziges Mal erlebt, dass er die Beherrschung verloren hätte.
»Wir waren gerade ein Jahr verheiratet, als sie das erste Mal ausgezogen ist. Rückblickend hätten wir es schon damals gut sein lassen sollen, denke ich.«
»Und warum habt ihr das nicht?«, platzt es aus mir heraus. Dann beiße ich mir auf die Zunge und füge schnell hinzu: »Ich meine, wenn ihr euch nicht verstanden habt.«
»Ich weiß es nicht. Vermutlich wollte ich niemanden enttäuschen. Wir haben so eine große Hochzeit gefeiert …«Verlegen bricht er ab.
»Ich weiß. Stand sogar in der New York Times .«
»Das hast du gesehen?« Scheint ihn zu wundern und ihm etwas peinlich zu sein.
Genauso wie mir, dass ich tatsächlich zugegeben habe, es gesehen zu haben.
»Meine Schwester Kate hat es gesehen. Die wohnt schon lange in New York. Sie hat es mir gezeigt.«
Genau genommen hat sie es ausgeschnitten und mir zugeschickt, weil sie dachte, es sei nur zu meinem Besten, wenn ich die ganze Wahrheit erfahre. Insgeheim hat sie wohl gehofft, würde ich das Hochzeitsfoto erst sehen, dann würde ich endlich aufhören, ihm nachzutrauern, nach vorne schauen und ihn
Weitere Kostenlose Bücher