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Transfer

Transfer

Titel: Transfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Übung.
    Bereichert um dieses Erlebnis, das übrigens nichts kostete, fand ich mich wieder auf der Straße in der prallen Mittagssonne. Glider gab es inZWischen weniger, dafür über den Dächern eine Unzahl zigarrenartiger Maschinen. Die Menschenmenge schwamm auf den Rolltreppen in die niedrigeren Etagen hinunter. Alle hatten es sehr eilig, nur ich allein hatte Zeit. Wohl eine Stunde erwärmte ich mich in der Sonne unter einem Rhododendron mit verholzten Schuppen von schon abgestorbenen Blättern, dann ging ich in das Hotel zurück.
    In der Halle unten bekam ich einen kleinen Rasierapparat, Als ich im Badezimmer mit der Rasur begann, merkte ich, daß ich mich ein wenig zum Spiegel herab beugen mußte. Und ich wußte doch, daß ich mich vorher darin gerade stehend sehen konnte.
    Der Unterschied war minimal: aber schon vorher, als ich mein Hemd auszog, bemerkte ich etwas Sonderbares: das Hemd schien kürzer geworden zu sein. Fast als ob es eingelaufen wäre. Ich sah es mir genauer an. Aermel und Kragen waren unverändert. Ich legte das Hemd auf den Tisch. Es sah genauso aus wie vorher. Als ich es jedoch anzog, reichte es mir knapp über die Taille. Ich hatte mich verändert, nicht das Hemd. Ich bin also größer geworden.
    Dieser Gedanke war absurd, beunruhigte mich aber trotzdem.
    Ich verband mich mit dem Hotel-Infor und bat um die Adresse eines Arztes - Spezialist für Raumfahrtmedizin. Zum ADAPT wollte ich, solange es nur möglich war, nicht gehen. Nach einer kurzen Schweigepause, so als ob sich der antwortende Automat nicht schlüssig wäre - hörte ich die Adresse. Der Arzt wohnte in derselben Straße, einige Häuserblocks weiter. Ich ging zu ihm.
    Ein Roboter führte mich in ein großes, verdunkeltes Zimmer. Außer mir war niemand da.
    Nach einer Weile kam der Arzt. Er sah aus, als ob er aus einem Familienfoto im Arbeitszimmer meines Vaters herausgestie gen wäre. Er war klein, aber nicht zierlich, grau, hatte einen kleinen weißen Bart und eine goldumrandete Brille - die ersten Gläser, die ich an einem menschlichen Gesicht seit meiner Landung sah. Er hieß Doktor Juffon.
    »Hai Bregg?« sagte er. »Sind Sie es?«
    »Ja.«
    Er schwieg und sah mich lange an. »Was fehlt Ihnen?«
    »Eigentlich nichts, Doktor, nur…«, ich erzählte ihm von meinen eigenartigen Beobachtungen.
    Ohne ein Wort zu sagen, öffnete er mir eine Tür. Ich kam in ein kleines Behandlungszimmer.
    »Ziehen Sie sich, bitte, aus.«
    »Ganz?« fragte ich, als ich nur noch die Hose anhatte.
    »Ja.«
    Er besah mich als Nackten.
    »Solche Männer gibt es nicht mehr«, murmelte er wie zu sich selbst. Er horchte mein Herz ab, indem er mir ein kaltes Höhrrohr an die Brust legte. >Auch noch in tausend Jahren wird es so sein<
    - dachte ich, und dieser Gedanke machte mir eine kleine Freude.
    Er maß meine Größe, dann mußte ich mich hinlegen. Er betrachtete recht aufmerksam die Narbe unter meinem rechten Schlüsselbein, sagte aber nichts. Er untersuchte mich fast eine Stunde.
    Reflexe, Lungenkapazität, EKG - alles. Als ich mich anzog, setzte er sich hinter einen kleinen, schwarzen Schreibtisch. Die Schublade, die er auszog, um darin zu kramen, quietschte. Nach all den Möbeln, die sich neben den Menschen wie besessen bewegten, gefiel mir dieser alte Schreibtisch sehr. »Wie alt sind Sie?« Ich erklärte ihm, wie es bei mir um diese Dinge stand.
    »Sie haben den Körper eines dreißigjährigen Mannes«, meinte er. »Haben Sie hyberniert?«
    »Ja.«
    »Lange?«
    »Ein Jahr.«
    »Warum?«
    »Wir kamen mit einem verstärkten Schub zurück. Man mußte sich ins Wasser legen. Amortisation, wissen Sie, Herr Doktor.
    Und da es einem schwerfällt, ein volles Jahr wach im Wasser zu liegen, so… «
    »Selbstverständlich. Ich dachte, Sie hätten länger hyberniert. Dieses eine Jahr können Sie getrost abziehen. Nicht vierzig, sondern neununddreißig sind Sie.« »Und… das andere?«
    »Es ist nichts, Bregg. Wieviel hattet ihr?«
    »Beschleunigung? Zwei g.«
    »Na, also. Sie dachten wohl, Sie wachsen weiter - wie? Nein. Wachsen tun Sie nicht. Ganz einfach: die Bandscheiben. Wissen Sie, was das ist?«
    »Ja, solche Knorpel in der Wirbelsäule.«
    »Eben. Die entspannen sich nun, wo Sie aus diesem Druck heraus sind. Wie groß sind Sie?«
    »Als ich abflog - war ich einssiebenundneunzig.«
    »Und später?«
    »Keine Ahnung. Gemessen hab’ ich mich nicht; es gab da andere Sorgen, wissen Sie.«
    »Jetzt sind Sie zwei Meter groß.«
    »Eine schöne Geschichte«,

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