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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Vorsicht an, da Sie unerkannt abfahren wollen. Ich kann sie Ihnen gar nicht genug anraten. Die Polizei fährt mit auf dem Schiff, der Zivilkommissar fährt mit, er studiert die Dossiersin seiner Kajüte. Von dieser Art ist das Schiff. Wir hatten vor zwei Monaten einen Fall. Ein Spanier fuhr auf falsche Papiere, ein wenig verkleidet. Seine Schwester fuhr auf demselben Schiff. Sie hatte überall das Gerücht verbreitet, der Bruder sei tot. Er war zuerst aus Spanien und dann aus dem Lager geflohen. Er sei in den Blitzkrieg geraten, erzählte die Schwester und trug sich schwarz. Doch irgendwie konnte sie dann ihre Freude nicht meistern, daß der Mann auf ein Schiff gelangt war. Da gibt es immer Spitzel unter den Passagieren, vergessen Sie das nie! Auch auf jenem Schiff fuhr ein Kommissar. Man verriet ihm den Mann, und das war das Ende vom Lied, daß er, angekommen in Casablanca, bei der Zwischenlandung von Bord mußte und an Franco ausgeliefert wurde. Geben Sie ja auf sich acht!«
    Mein Platzabtreter stand vor der Tür der Transports Maritimes, als ich anfuhr. Er packte wieder mein Handgelenk, er zog mich an den Schalter. Bestürzung und Staunen lag auf dem jungen frischen Gesicht des Beamten der Schiffahrtsgesellschaft, der das Billett in den Fingern drehte. Mein Platzabtreter fragte: »Was paßt Ihnen nicht? Für Sie kann es doch egal sein, wer fährt.« – »Vollkommen egal. Nur daß man dieses Billett schon zum drittenmal abtritt. Gewöhnlich reiben sich die Leute die Knie wund nach Billetten, nur dieses Billett wird immer abgetreten.«
    Wir gingen darauf in das erste beste schmierige Café in der Rue de la République. Er erzählte: »Ich war in Aix bei der deutschen Kommission. Drei Offiziere verhörten mich. Der eine lachte bei meinem Gesuch und murmelte irgendein Schimpfwort. Der andere fragte mich, was ich daheim wolle. Ich bilde mir doch nicht ein, daß mich ein Extraempfang erwarte. Ich sagte: ›Es handelt sich nicht um Empfänge. Es handelt sich hier um Blut und Boden. Das müssen Sie doch verstehen.‹ Er war ein wenig verdutzt, dann fragte er mich nach meinem Vermögen. ›Ich habe‹, sagte ich, ›eine Tochter in Buenos Aires von einerFrau, die ich dort einmal kurz geliebt hatte. Ich habe dem Mädchen mein Vermögen überschrieben. Beunruhigen Sie sich nicht um mein Geld, da ich mich nicht darum beunruhige!‹ Der dritte hörte sich alles an und schwieg. Ich setzte meine Hoffnung auf den dritten. Die einzigen Leute, mit denen man heute reden könnte, sind die, die schweigen. So wurde denn mein Gesuch beglaubigt und günstig beschieden.« Er trank ein wenig und sagte: »Ich habe mich dreißig Jahre in allen möglichen Ländern herumgetrieben, in einer Zeit, in der es üblich war, in seinem eigenen Land Bäume zu pflanzen. Jetzt ziehen die anderen ab und ich heim.«
III
    Ich aber fuhr nach der Joliette. Ich hielt vor dem Hafenamt. Sein Vorraum war fast leer, gemessen an den Tausenden, deren Ziel das Hafenamt war. Er war der letzte aller Vorräume. Wenn der, der ihn schließlich durchwartet hatte, nicht doch noch zurück mußte, endgültig, hoffnungslos, dann kam danach gar kein Warteraum mehr, nur das Meer.
    Eine Spanierfamilie drang ein. Zu meinem Erstaunen schleppten sie auch jenen alten Spanier mit, dessen Söhne im Bürgerkrieg gefallen, dessen Frau beim Übergang über die Pyrenäen zugrunde gegangen war. Er sah viel frischer aus, als hoffe er, bald die Seinen wiederzufinden in einem Jenseits hinter dem Ozean.
    Mein altes Paar aus dem Hotel rückte an mit seinen Packen und Päckchen. Sie dachten nicht im geringsten darüber nach, daß sie zu den wenigen gehörten, die hier hatten eindringen dürfen. Sie hatten unschuldig, Hand in Hand, wenn auch durch viele Päckchen behindert, den Konsulatsweg zurückgelegt, auf dem die meisten steckenbleiben. Ich drehte mich gegen die Wand, um Fragen zu entgehen.
    Der Hafenamtsvorstand öffnete seine Tür. Er schlüpfte hinter den wuchtigen Schreibtisch, ein eichhörnchenhaftes Männlein, das aussah, als ob es die Meere hasse. Es roch und roch an meinen Papieren. Es fragte: »Wo ist Ihr Flüchtlingsschein?« Ich kramte Yvonnes Schein hervor. Er kam zu den Akten. Das Hafenamt stempelte. Ich war abfahrtsbereit.
IV
    Ich trat aus dem Hafenamt heraus auf den äußersten Rand des Quais. Die großen Hangars versperrten die Sicht. Das Wasser zwischen den Pflöcken war seicht, der Anfang des unendlichen Meeres. Ein handbreites Stück Horizont lag zwischen dem Hangar und der

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