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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Corniche und auf den Inseln waren noch matt in der Dämmerung. Wie hatte ich doch das Meer gehaßt auf den Docks. Es war mir unbarmherzig erschienen in seiner unzugänglichen, seiner unmenschlichen Öde. Jetzt aber, nachdem ich mich bis hierher gequält hatte auf meinem langen Weg durch das zerrüttete und besudelte Land, da gab es für mich keinen größeren Trost als eben diese unmenschliche Leere und Öde, in ihrer Spurlosigkeit, ihrer Unbefleckbarkeit.
    Ich stieg in das korsische Viertel zurück. Es war inzwischen stiller geworden. Die Märkte waren geräumt. Ich fand die Rue du Chevalier Roux. Ich schlug den bronzenen Türklopfer, der die Form einer Hand hatte, auf die große geschnitzte Tür. Ein Neger rief, was ich wolle. Ich fragte nach den Binnets.
    Man sah an den Knaufen am Treppengeländer, an denResten von bunten Fliesen, an den abgeschabten Wappensteinen, daß das Haus einstmals einem vornehmen Mann gehört hatte, einem Kaufmann oder Seefahrer. Jetzt wohnten Einwanderer aus Madagaskar darin und noch ein paar Korsen und Binnets.
    Ich starrte Binnets Geliebte an. Sie erschien mir außerordentlich schön, wenn auch unwünschbar fremd. Der Kopf eines schwarzen, wilden Vogels, mit scharfer Nase und funkelnden Augen auf zartem Hals. Die langen Hüften, die langen, in den Gelenken lockeren Hände, die Zehen selbst auf den Espadrillen, das alles war immer ein wenig bewegt, wie sonst nur die Mienen der Menschen, als seien Zorn und Freude und Trauer wie Wind.
    Auf meine Frage erwiderte sie kurz angebunden, Georg habe Nachtdienst in einer Mühle, sie sei selbst gerade erst aus der Zuckerfabrik gekommen. Sie drehte sich von mir weg und gähnte. Ich war ganz ernüchtert.
    Ich stieß auf der Treppe mit einem schmalen, dunklen Jungen zusammen, der, ein paar Stufen auf einmal nehmend, von unten heraufsprang. Er drehte sich noch einmal um, gerade, als ich mich selbst nach ihm umdrehte. Ich hatte nachprüfen wollen, ob mir mein Ankunftsfieber auch diesen Jungen verzauberte, er aber, ob ich denn wirklich der völlig Fremde, der überraschende Eindringling sei. Ich hörte gleich darauf Binnets Freundin, die noch in der offenen Tür stand – unschlüssig, wie sie mir später gestanden hat, ob sie mich nicht doch noch zurückrufen und zum Warten auffordern sollte –, den verspäteten Sohn ausschelten. Sie werden später verstehen, warum ich das alles genau erzähle. Mein Besuch erschien mir damals verfehlt, der weitere Abend leer. Ich hatte mir eingebildet, die Stadt habe mir schon ihr Herz geöffnet, wie ich ihr meines. Sie lasse mich auch gleich am ersten Abend in sich hinein, und ihre Menschen gäben mir Obdach. Als Rückschlag auf meine Ankunftsfreude fühlte ich jetzt eine große Enttäuschung. Yvonne hatte sicher nicht an den Vetter geschrieben, sie hatte michnur beruhigt, um mich fortzuschicken. Mich kränkte auch der Bescheid, Georg sei auf Nachtdienst. Es gab also doch noch Menschen, die ein gewöhnliches Leben führten.
IV
    Ich aber suchte mir wieder ein Nachtquartier. Das erste Dutzend Hotels war voll. Ich wurde hundemüde. Ich setzte mich an den nächsten Tisch vor ein schäbiges Café an einem kleinen stillen Platz. Die Stadt war aus Furcht vor Fliegern verdunkelt, doch gab es in vielen Fenstern schon schwache Lichter. Ich dachte, wie viele tausend Menschen diese Stadt ihr eigen nannten und ruhig in ihr dahinlebten, wie ich einstmals in der meinen. Ich sah zu den Sternen hinauf und dachte ein wenig getröstet, ich weiß nicht warum, daß diese Sterne wohl mehr für mich da seien und für meinesgleichen als für die, die jetzt eigene Lichter ansteckten.
    Ich bestellte ein Bier. Ich wäre gerne allein geblieben. Ein kleiner alter Mann setzte sich zu mir. Er trug einen Rock von der Sorte, die längst bei jedem anderen in Fetzen gegangen wäre, hier aber zufällig an einen Besitzer geraten war, der ihn durch Würde und Sorgfalt nicht untergehen ließ. Und wie der Rock, so der Mann. Er hätte längst im Grab liegen dürfen, doch sein Gesicht war fest und ernst. Sein Haarrest war gescheitelt, seine Nägel waren sorgfältig geschnitten. Er fragte mich fast sofort mit einem Blick auf den Handkoffer, für welches Land ich ein Visum hätte. Er fragte nicht etwa, wohin ich fahren wollte, sondern für welches Land ich ein Visum hätte. Darauf erwiderte ich, ich hätte kein Visum und keine Absicht, eines zu erwerben, ich wolle bleiben. Er rief: »Sie dürfen nie bleiben ohne Visum!« Ich verstand seinen Ausruf nicht. Ich

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