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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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was wohl geschehen wäre, wenn sich einer von ihnen bereit erklärt hätte, das Mädchen auf der Stelle zu heiraten. Alle waren sie minderjährig, aber sie fingen gleich furchtbar zu streiten an um das Mädchen, so daß es fast zum Prügeln kam. Wir waren damals schon alle erschöpft. Meine Freunde schämten sich auch für ihr Land. Von einer Niederlage steht man, wenn man gesund und jung ist,rasch wieder auf. Aber Verrat, das lähmt. Wir gestanden uns in der folgenden Nacht, daß wir Heimweh nach Paris hatten. Da war ein harter furchtbarer Feind vor unseren Augen gewesen, kaum zu ertragen, wie wir damals geglaubt hatten; jetzt aber glaubten wir, daß dieser sichtbare Feind besser gewesen war als das unsichtbare, fast geheimnisvolle Übel, diese Gerüchte, diese Bestechungen, dieser Schwindel.
    Alles war auf der Flucht, alles war nur vorübergehend, aber wir wußten noch nicht, ob dieser Zustand bis morgen dauern würde oder noch ein paar Wochen oder Jahre oder gar unser ganzes Leben.
    Wir faßten einen Entschluß, der uns sehr vernünftig vorkam: Wir stellten auf einer Karte fest, wo wir eigentlich waren. Wir waren gar nicht weit weg von dem Dorf, in dem Yvonne lebte, meine verflossene Freundin, die ihren Vetter geheiratet hatte. Wir machten uns also auf und kamen nach einer Woche an.
II
    In Yvonnes Dorf gab es zwar auch schon eine Menge Flüchtlinge, etliche hatte man ihrem Mann auf den Hof geschickt, damit sie dort halfen, aber im großen ganzen war da noch ein gewöhnliches Bauernleben. Yvonne war schwanger, sie war stolz auf ihren neuen Besitz, allerdings war sie etwas verlegen, als sie mich ihrem Mann vorführte. Als sie erfuhr, daß ich ohne Papiere sei, schickte sie noch am selben Abend ihren Mann ins Dorf, wo er auch stellvertretender Bürgermeister war, hieß ihn in der Grappe d’Or mit seinen Freunden trinken, auch mit dem Vorstand der Vereinigten Flüchtlinge aus der Gemeinde Aigne sur Ange, so daß er mitternachts heimkam mit einem gelben Papierchen, einem überzähligen Flüchtlingsschein, den ein Mann aus dieser Gemeinde wohl zurückgegeben hatte, als er andere, bessere Papiere bekam. Seidlerhatte der Mann geheißen, dessen schlechterer Schein für mich der bessere war, er war bei der Abstimmung aus der Saar nach dem Elsaß eingewandert. Yvonnes Mann drückte noch einen Stempel auf, wir suchten das Dorf im Schulatlas, nach seiner Lage mußte es glücklicherweise verbrannt sein mit dem Einwohnerregister. Yvonnes Mann erreichte sogar, daß mir in der Departementshauptstadt ein Geld ausgezahlt wurde, irgendein Flüchtlingsgeld, das mir, wie er selbst fand, gerechterweise zustand, da ich ja jetzt vollständig mit meinen Papieren in Ordnung war.
    Ich verstand, daß Yvonne das alles betrieben hatte, um mich rasch loszuwerden. Meine Reisegefährten hatten inzwischen an ihre Familien geschrieben, die da und dort versprengt waren. Marcel fand für sich selbst einen Großonkel mit einer Pfirsichfarm am Meer. Der kleine Binnet wollte bei seiner Schwester bleiben mit seinem besten Freund. Ich war hier schlecht angebracht als der ehemalige Liebste der Yvonne und ganz überflüssig. Yvonne besann sich wieder auf mich, diesmal auf einen Vetter Georg. Der war in Nevers in einer Fabrik gewesen, dann war er mit der Fabrik evakuiert und, man wußte nicht recht weshalb, in Marseille hängengeblieben. Er hatte auch geschrieben, daß es ihm dort ganz gut gehe, daß er mit einer Frau aus Madagaskar zusammen lebe, die auch verdiene. Marcel meinte, er werde schon dafür sorgen, daß ich zu ihm auf die Pfirsichfarm nachkäme. Ich könne mich solange in Marseille herumtreiben. An diesem Vetter Binnet hätte ich immerhin einen Halt. Also hing ich an der Familie Binnet wie ein Kind, das seine eigene Mutter verloren hat und sich an den Rock einer anderen Frau hängt, die seine Mutter zwar nie sein kann, aber doch etwas Güte abgibt.
    Ich hatte schon immer Marseille sehen wollen, ich hatte außerdem Lust auf eine große Stadt. Außerdem war mir alles einerlei. Wir nahmen Abschied. Marcel und ich fuhren noch eine Strecke zusammen. In dem Haufen von Soldaten,Flüchtlingen, Demobilisierten, die die Züge und Straßen unentwegt füllten, suchte ich unwillkürlich ein bekanntes Gesicht, irgendeinen, der etwas mit meinem alten Leben zu tun gehabt hatte. Wie wäre ich froh gewesen, Franz wäre aufgetaucht, mit dem ich aus dem Lager geflohen war, oder gar Heinz. Wenn ich wo einen Mann auf Krücken bemerkte, hoffte ich immer auf sein

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