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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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können.
    Ich sah Nadine, die Cannebière aufwärts, noch einmal draußen am Fenster vorbeigehen. Man ließ gleich darauf die Läden herunter: Verdunkelungsvorschrift. Mir war esbeklemmend, nicht mehr das Meer zu sehen und die Schatten auf der Straße. Ich fühlte mich überlistet, eingesperrt mit allen Dämonen, von denen der Mont Vertoux heute abend bevölkert war. Durch meinen müden, vom Warten zermalmten Kopf schoß ein einzelner klarer Gedanke, daß ich, wenn jetzt ein Fliegergeschwader die Stadt beschießen würde, hier nicht mit ihnen zusammen sterben wollte. Doch schließlich war auch das einerlei. Worin unterschied ich mich denn von ihnen? Daß ich nicht abfahren wollte? Auch das war nur halb wahr. – Auf einmal begann mein Herz zu klopfen. Es hatte früher als meine Augen verstanden, wer eben eintrat. Sie kam wie gestern eilig herein, auf der Flucht oder auf der Suche. Ihr junges Gesicht war so stark gespannt, daß es mich schmerzte. Ich dachte, als wäre sie meine Tochter: Das alles taugt nichts für sie, nicht der Ort, nicht die Stunde. Sie suchte den ganzen Mont Vertoux ab, indem sie von Tisch zu Tisch ging. Sie kehrte in meine Nähe zurück, bleich vor Verzweiflung. Doch fing sie gleich wieder zu suchen an, allein und ratlos, in dieser Rotte aus einem Sack entflohener Teufel. Sie trat dicht an meinen Tisch. Ihr Blick ruhte jetzt auf mir. Ich dachte: Sie sucht mich, wen sonst? Doch schon war ihr Blick von mir abgezogen. Sie lief schon hinaus.
V
    Ich ging in die Rue de la Providence. Mein Zimmer erschien mir kahl und leer, als hätte man mich inzwischen beraubt. Auch mein Kopf war leer. Denn nicht einmal ein genaues Bild war mir im Gedächtnis zurückgeblieben. Selbst diese Spur war verloren.
    Wie ich da saß vor dem kahlen Tisch, da klopfte es an die Tür. Ein Unbekannter trat ein, untersetzt, mit einer Brille. Er fragte mich, ob ich zufällig wisse, wohin seine Frau verschwunden sei, ihr Zimmer sei plötzlich leer. Ausseinen Fragen entnahm ich, daß er der Mann war, den ich in Handschellen hatte abführen sehen von meinem Versteck auf dem Dach aus. Ich fing nun vorsichtig an, ihm zu erklären, daß jetzt leider seine Frau verhaftet sei. Er geriet in äußerste Wut. Ich hatte wahrhaftig Angst, er ersticke mit seinem gedrungenen Hals. Man hatte ihn selbst, gekettet, in sein Ursprungsdepartement zurückgebracht, doch war der Beamte dort guter Laune gewesen und hatte gerufen: »Laßt ihn laufen!« Er hatte gehofft, doch noch das Schiff zu erwischen, jetzt hatte man ihm die Frau in das Lager Bompard verschleppt, auf daß man Kaution für sie zahle, zu deutsch das Lösegeld. Er lief sofort in die Stadt, um Freunde aufzutreiben. Wie ich ihn beneidete! Die kleine dickliche Frau war unzweifelhaft sein. Sie saß fest, wenn auch im Lager. Sie konnte sich nicht verflüchtigen. Er konnte sich die Beine nach ihr ablaufen. Er konnte sich seinen dicken Kopf zerbrechen, um sie zurückzubekommen.
    Ich aber, ich hatte nichts, woran ich mich halten konnte. Ich legte mich zu Bett, weil ich fror. Ich wünschte mir ihr Gesicht zurück, einen Schimmer ihrer Gestalt. Ich suchte und suchte im dünnen, bitteren Rauch meiner Zigaretten, der langsam das Zimmer füllte. Das Haus war ausgestorben. Die Legionäre waren weg auf irgendwelche gemeinsame Belustigungen. Es war einer jener Abende, an dem sich alles von einem zurückzieht wie auf Verschwörung.
VI
    Ich wachte auf von einem Hundegejaul. Es wurde noch schlimmer, als ich klopfte. Ich sprang hinaus, mir Ruhe zu verschaffen. Ich fand das Nebenzimmer besetzt von zwei mächtigen Doggen und einem häßlich grell gekleideten Weib mit frechen Augen und schiefen Schultern. Ich hielt sie für die Angehörige einer der kleinen schäbigen Bühnen, die in den Gassen hinter dem Hafen allerleiUnsinn darbieten. Ich machte ihr auf französisch klar, daß ihre Tiere mich störten. Darauf erwiderte sie im schnoddrigsten Deutsch, ich müsse mich leider daran gewöhnen, die Tiere seien nun mal ihre Reisegefährten, sie wünsche selber nicht mehr, als nach erteiltem Transit nach Lissabon mit ihnen abzuziehen. Ich fragte sie, ob sie denn dermaßen an diesen zwei Kötern hänge, daß sie sie durch die ganze Welt mitschleife. Sie lachte und rief: »Ich könnte sie auf der Stelle schlachten. Doch bin ich durch eine Reihe merkwürdiger Zufälle an sie gefesselt. Ich hatte bereits ein Billett für die Export-Line. Mein amerikanisches Visum war bewilligt. Doch als ich mich zur Verlängerung neuerdings

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