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Transit

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Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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solchen Schiff wäre auch ich gern gefahren, mit solchen Mitreisenden.
    Da stand ich auch schon im Portal. Der Türhüter sprang auf mich zu, als hätte er mich erwartet. Der lederne magere Mann aus dem Boulevard de la Madeleine war kaum wiederzuerkennen. Er sah stolz aus und gut gekleidet, was unser aller Hoffnung auf Abfahrt bestärkte. Man führte mich in die Kanzlei. Sie war jetzt kein schlichtes Zimmer mehr, sondern ein Ehrfurcht gebietender Raum mit Schaltern und einer Schranke. Und hinter der Schranke, an einem mächtigen Tisch, saß klein und funkelnd mein Kanzler, mit den wachsten Augen der Welt. Ich wollte rasch wieder hinaus. Da sprang er hoch und rief: »Da sind Sie ja endlich! Wir haben Sie überall suchen lassen. Sie haben Ihre Adresse nicht ordentlich eingetragen. Die Bestätigung meiner Regierung ist angekommen.«
    Ich stand steif da, ich dachte: Das Paulchen hat also wirklich Macht. Dem Paulchen ist also wirklich eine gewisse Macht auf Erden gegeben. Ich machte in meiner Bestürzung das Allereinfältigste, eine leichte Verbeugung. Der Kanzler betrachtete mich belustigt. Ich verstand seinen spöttischen Blick. Ich habe in deiner Sache bestimmt keinen Finger gerührt. Da waren ganz andere Mächte im Spiel. Wir werden sehen, wer zuletzt lacht. Er ließ mich hinter die Schranke treten; und während ich wartete, zogen zehn, zwanzig Abfahrtsbesessene an der Schranke vorbei. Ich sah auch den weißhaarigen Spanier wieder, der meinen Ratschlag eingeholt hatte, ob es sich für ihn lohne, noch einmal hierher zu kommen. Er war aber doch gekommen, ungeachtet meines Ratschlags und seiner eigenen Bitterkeit. Er hoffte vielleicht auf Verjüngung dort drüben, auf eine Art von ewigem Leben, das ihm seine Söhne wiederschenken werde. Man brachte mein eigenes Dossier herbei, man blätterte, man raschelte.
    Auf einmal drehte der kleine Kanzler sich nach mir um, seine Augen funkelten, ich hatte den Eindruck, daß er mich nur hatte einschläfern wollen. »Was haben Sie eigentlich für Papiere, Herr Seidler?« Er sah mich überausfröhlich, fast lachend an. »Hier gibt es einige Ihrer Landsleute, die zwar schon zwei Monate ihre Visen haben. Doch warten sie ebensolange auf eine Bestätigung der Deutschen, daß sie nicht mehr als deutsche Bürger betrachtet werden. Nur dann gibt ihnen die Präfektur das Visa de sortie, die Erlaubnis, das Land zu verlassen.«
    Wir sahen einander in die Augen. Wir spürten unzweifelhaft beide die Gegnerschaft, doch beide spürten wir auch unzweifelhaft Vergnügen an einer so ebenbürtigen Gegnerschaft. Ich erwiderte: »Beunruhigen Sie sich bitte nicht! Ich habe ein Flüchtlingspapier, halb saarländisch, halb elsässisch.« – »Sie sind aber doch in Schlesien geboren, Herr Seidler?« Wir sahen einander mit großer Belustigung in die Augen. Ich sagte hochmütig: »Bei uns in Europa hat kaum jemand mehr die Staatsbürgerschaft seines Ursprungslandes. Ich war im Saargebiet zur Abstimmungszeit.« – »Gestatten Sie, daß ich mich weiter ernstlich um Sie beunruhige. Dann sind Sie ja fast Franzose. Sie werden bei der Erlangung des Visas de sortie auf ganz erhebliche Schwierigkeiten stoßen.« Ich sagte: »Ich werde mich sicher mit Ihrer Hilfe schon durchbeißen. Was raten Sie mir zu tun?« Er sah mich lächelnd an, als sei meine Frage witzig. »Sie gehen zuerst mit meiner Bestätigung Ihres Visums auf das Amerikanische Reisebüro. Dort lassen Sie sich die Bescheinigung geben, daß Ihre Passage bezahlt ist.« – »Bezahlt?« – »Gewiß, Herr Seidler, bezahlt. Dieselben Freunde, die, um Ihr Leben besorgt, bei meiner Regierung Ihr Visum durchsetzten, haben Ihr Reisegeld voll ausgezahlt bei der Export-Line in Lissabon. Hier liegt der Nachweis im Dossier. Überrascht Sie das?« Gewiß, ich war überrascht. Er brauchte also nur tot zu sein, und schon war die Überfahrt beglichen, sein Dossier voll von den besten Papieren, die ihre Nützlichkeit desto besser erwiesen, je sicherer er verweste. Als sei für seinesgleichen der Tod die natürliche Vorbedingung, daß Freunde sich seiner erinnerten und alles bis ins kleinste ebneten. »Mit diesem Nachweis und mitder Bescheinigung Ihres Visums begeben Sie sich sofort auf das amerikanische Konsulat. Dort stellen Sie einen Antrag auf Transit.« – »Bei dem amerikanischen Konsulat?« Er sah mich scharf an. »Sie können doch wahrscheinlich nicht auf dem Wasser gehen. Über was für Fähigkeiten Sie auch sonst verfügen. Es gibt kein direktes Schiff nach

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