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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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zu dem Konsul begebe, da heißt es, ich brauche ein neues, ein einwandfreies Affidavit, eine moralische Bürgschaft, das Zeugnis amerikanischer Bürger, daß ich völlig makellos sei. Wo sollte ich, eine Frau, die immer allein lebt, zwei amerikanische Bürgen hernehmen, die für mich ihre Hand ins Feuer legen, daß ich nie Geld unterschlagen habe, den Russenpakt verdamme, den Kommunisten nicht gewogen bin, nicht war und nicht sein werde, keine fremden Männer in meinem Zimmer empfange, ein sittliches Leben führe, führte und führen werde? Ich stieß in ziemlich verzweifeltem Zustand auf ein altes Paar aus Boston, die wohnten einmal im Sommer mit mir an einem Ort an der Küste, der Mann ist etwas bei der Electromotor, das ist etwas, was der Konsul achtet. Die wollten sofort mit dem Klipper weg, so wenig gefiel es ihnen noch hier, nur liebten sie ihre zwei Hunde, doch die durften nicht in den Klipper. Wir klagten uns unsere beiden Verzweiflungen, da war uns beiden zu helfen. Die beiden amerikanischen Menschen bekamen von mir das Versprechen, die Hunde heil über den Ozean zu bringen auf einem gewöhnlichen Schiff, und ich bekam die moralische Bürgschaft. Sie werden jetzt ohne Zweifel verstehen, warum ich diese zwei Hunde, die meine Bürgen sind, wasche, bürste, hege. Ich würde sie auch mit mir über den Ozean schleppen, wenn sie Löwen wären.«
    Ich ging, ein wenig erheitert, hinaus in den kalten Vormittag. Ich wählte der Billigkeit halber ein schäbiges kleines Café, das doch auf der Cannebière liegt, dem Mont Vertoux gegenüber. Ich starrte hinaus auf die volle Straße. Der Mistral trieb bald einen jähen Regen gegen die Menge, bald ebenso jähes Licht. Die Scheibe des Cafés klirrte. Ich war mit meinen Gedanken auf dem Fremdenamt, wo ich morgen mein Glück versuchen wollte, vielleicht mit dem mir von Heinz geschenkten Lagerentlassungsschein.
    Auf einmal erschien auf der Schwelle die Frau, an die ich gerade einmal nicht gedacht hatte. Sie hatte das schäbige kleine Café, in dem es außer mir nur drei Straßenarbeiter gab, die vor dem Regen geflüchtet waren, mit einem Blick übersehen, so daß sie nicht einmal eintrat. In der Kapuze erschien ihr Gesicht noch kleiner und bleicher.
    Ich trat auf die Straße. Die Frau schien bereits in der Menge verschwunden. Ich lief die Cannebière hinauf und hinunter. Ich stieß in die Menschen, ich störte sie auf in ihrem Abfahrtsgetratsch, in ihren Konsulatsprozessionen. Ich sah die hohe spitze Kapuze weit von mir entfernt am Ende der Cannebière. Ich lief ihr nach, sie verschwand auf dem Quai des Belges. Ich folgte ihr auf den Quai die Treppen hinauf, durch die kahlen, langen Straßen bis zur Kirche Saint-Victor. Da blieb sie stehen im Tor der Kirche bei den Kerzenhändlerinnen. Ich sah jetzt, daß sie gar nicht die Frau war, die ich suchte, sondern ein fremdes häßliches Weib mit verschrumpelten geizigen Zügen. Ich hörte auch, daß sie sogar um die Kerzen feilschte, die für ihr Seelenheil brennen sollten.
    Ich setzte mich, als ein Regen anbrauste, auf die nächste Kirchenbank. Ich weiß nicht, wie lange ich da sitzen blieb, den Kopf in den Händen. So war ich denn wieder einmal am Rand angelangt, am Rand meiner Unternehmungen. Trotzdem trieb ich das alte Spiel immer weiter, selbst auf dem Rand. Mir fiel auch ein, daß ich heute morgenHeinz hätte treffen sollen. Doch längst war die Stunde verpaßt und mit der Stunde, so kam es mir vor, das Beste, was mir bestimmt war. Wie kalt es hier war! Nicht nur in der Kirche Saint-Victor, auch in dem halboffenen Tor war tiefe Regendämmerung. Der Mistral knickte sogar hier drinnen die Kerzenflämmchen auf den Altaren. Wie leer war das mächtige Kirchenschiff, und doch kamen immer neue Menschen von außen, wohin verschwanden sie nur? Ich hörte einen schwachen Gesang, von dem ich nicht wußte, woher er kam, denn die Kirche blieb leer. Die Kirchgänger wurden von einer Mauer verschluckt. Ich folgte ihnen die Treppe hinunter in die Erde, die an dieser Stelle Fels war. Je tiefer wir kamen, desto deutlicher wurde auch der Gesang. Schon fiel aus der Krypta das flackrige Licht auf die Stufen. Wir mußten jetzt unter der Stadt sein, ja, wie mir deuchte, unter dem Meer.
    Dort hielten sie ihre Messe. Verwitterte Kapitäle uralter Säulen verwandelten sich in dem dünnen Geriesel aus Rauch in die Fratzen der heiligen Tiere. Der uralte Priester trug einen weißen Bart und eine kostbar bestickte, weiße Stola. Er glich einem jener ewig

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