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Transit

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Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Mexiko. Sie brauchen also ein Transit.« – »Man spricht doch unentwegt von direkten Schiffen.« – »Gewiß. Man spricht. Es handelt sich hier jetzt um Phantomschiffe. Die Export-Line zum Beispiel ist sicherer. Versuchen Sie jedenfalls, ob man Ihnen ein Transit gibt. Sie sehen etwas weltlicher aus als Ihre Kollegen sonst. Kein Zweifel an Ihrer Kunst! Versuchen Sie’s beim amerikanischen Konsulat. Und dann verlangen Sie Transit durch Spanien und Portugal.« Er hatte die letzten Sätze bereits in dem Ton eines Mannes gesagt, der eine Sache nur beiläufig erklärt, in der Überzeugung, daß sie nie zustande kommt und allzuviel Mühe zwecklos ist.
    Auf jeden Fall, dachte ich, als ich zurückging über den Platz, der jetzt schon kalt und still war, wird man mir auf dem Polizeiamt den Aufenthalt wieder verlängern mit meiner prächtigen neuen Visenbestätigung. Ich habe jetzt Abfahrtsunternehmungen vor, Transitbeschaffungen, die wochenlang dauern. Man wird mir glauben, daß es mir ernst ist, abzufahren, man wird mich deshalb bleiben lassen.
    Mein Junge kaute an seinem Strohhalm vor dem leeren Glas. Ich war vielleicht eine Stunde weggeblieben. Ich schämte mich, ja, ich fürchtete mich vor seinen Augen. Erst auf dem Heimweg sagte er: »Sie hauen also jetzt auch ab.« Ich sagte: »Wie kommst du denn darauf?« Er antwortete: »Sie waren in einem Konsulat. Ihr kommt auf einmal und fahrt auf einmal.« Ich drückte ihn an mich, küßte ihn, schwor, ich würde nie von ihm weggehen.
VIII
    Als wir heimkamen, saß der Arzt da. Er schimpfte, weil er auf den Patienten warten mußte. Er brachte den Jungen selbst zu Bett und horchte ihn ab. Ich stand traurig und ausgescholten dabei. Der Junge schlief sofort ein, so müde war er.
    Wir gingen zusammen weg, der Arzt und ich. Wir hatten uns nichts zu sagen. Wir stellten nur fest, daß es bitterkalt war. Ich schlug die Richtung ein nach dem Quai des Belges, und er, ich weiß nicht warum, er folgte mir. Er sagte mehr zu sich selbst als zu mir: »Zu denken, ich hätte heute wegfahren können!« Ich rief: »Sie hätten wegfahren können? Warum sind Sie nicht gefahren?« Er öffnete kaum den Mund, weil jetzt der eisige Wind gegen uns blies. »Ich müßte hier eine Frau zurücklassen. Ihr fehlen noch die Papiere. Wir hoffen, zusammen fahren zu können bei der nächsten Gelegenheit.« – »Und haben Sie keine Furcht«, fragte ich, »Ihre Arbeit zu verlieren, wenn Sie hier auf die Frau warten? Sie sind doch vor allem Arzt.« Er sah mich zum erstenmal an. »Das ist ja gerade die unlösbare Frage, über die ich Tag und Nacht nachgrüble.« Ich sagte mit großer Anstrengung, weil mir der Wind in die Kehle hineinblies: »Da gibt es eigentlich nichts mehr zum Grübeln. Sie sind ja geblieben.« – »So einfach ist diese Sache nun nicht«, erwiderte er fast keuchend, da er den Mistral und mich zu Gegnern hatte, »es gibt auch gewichtige äußere Gründe, die meine Abfahrt verzögert haben. Wie immer in solchen Fällen trifft ja die innere Disposition zusammen mit einem äußeren Umstand. Mein Passagegeld liegt in Lissabon. Ich war gewillt, von dort aus zu fahren. Ich warte noch auf mein spanisches Transit, und plötzlich von einer Stunde zur anderen erzählt man, es gäbe da noch einen kleinen Dampfer, der auf die Insel Martinique fährt. Ein Kargo mit Waren für Fort de France und einem Dutzend Beamte und Plätze für dreißig Passagiere. Da hieß es, für diese Route dasReisegeld aufbringen, die nötigen Ausweise, die Kaution, rasch einer von dreißig sein. Und gleichzeitig diesen Abschied bewältigen – Sie verstehen.« Ich erwiderte: »Nein.« Wir sahen uns von der Seite an mit verkrampften Hälsen, als könnte der Wind unsere Blicke wegblasen. Ich blieb an der Ecke stehen, weil ich ihn endlich loswerden wollte. Er würde gewiß nicht an dieser eisig angeblasenen Ecke hängenbleiben, nur um meine Meinung zu ergründen. Die Sache mußte ihm aber verteufelt nahegehen, da er trotzdem fragte: »Was verstehen Sie nicht?« – »Daß jemand nicht wissen soll, was ihm das Wichtigste ist. Es kommt ja außerdem doch an den Tag.« – »Wodurch?« – »Mein Gott, durch seine Handlungen, wodurch sonst? Es sei denn, ihm sei alles gleichgültig. Dann geht es ihm eben wie diesem Stück weißem Papier da drüben, das wie ein Vogel aussieht.« Er sah auf den leeren, von einer abgeblendeten Laterne spärlich erleuchteten Quai so angestrengt, als hätte er nie zuvor ein Stück weißes Papier gesehen, das ein

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