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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Lissabon zu treffen.
    Ich pflegte in Binnets Wohnung zu warten unter dem argwöhnischen Blick von Claudine, die aus meinen neuen langen Besuchen nicht klug wurde, und auch der Junge wartete stumm auf den Arzt, der ihn flüchtiger begrüßte, je gesünder er wurde. Er schleppte mich ab in die Pizzaria, um auf Marie zu warten, wobei er zu meinem Erstaunen erklärte, er habe Marie fest versprochen, mich mitzubringen, die Anwesenheit eines Fremden nehme die Beklemmung, die einem Abschied vorangehe; ihm selbst sei alles lieb, was Marie ein wenig erheitere oder beruhige. Oft hatten wir lange zu zweit zu warten, ehe Marie eintrat. Ich sah ihren Eintritt immer schon auf dem Gesicht des Arztes, dessen Ausdruck sich jäh veränderte, ein sonderbarer, mir unerklärlicher Ausdruck von Argwohn und Besorgnis. Ich aber, während wir warteten, sah Marie die Stadt durchlaufen, von Tür zu Tür gehen auf einer Suche, deren Zeuge ich nun nicht mehr war, da ich abends an einem Tisch mit ihr landete. Ich fragte einmal beiläufig den Arzt, und er erwiderte ebenso beiläufig: »Ach Gott, die alte Visenseuche.« Seine Antwort klang unaufrichtig, was mich erstaunte bei dem geringen Anlaß in Anbetracht der nutzlosen Aufrichtigkeit seiner häufigsten Geständnisse.
    Wir warteten, er und ich, an einem eisigen Abend. Der Quai vor der Pizzaria war leergefegt von dem Wind. Die paar Lichter in den Häusern der gegenüberliegenden Hafenseiteblinkten wie von einer entfernten Küste. Ich fragte mich, ob mein Begleiter wirklich so ruhig war, wie er sich stellte. Wenn morgen die Kommission den Kargo freigab und damit seine Abfahrt, dann hatte er noch viel weniger Macht, Mariens Wege zu hüten. Ich sah am Zusammenziehen seiner Brauen, an seinen enger werdenden Augen, daß eben der kleine spitze Schatten, auf den wir beide warteten, vor dem Fenster erschien, und jetzt ging die Tür.
    Es war nicht der Wind allein, der ihr den Atem nahm. Sie war nicht vor Kälte bis in die Lippen bleich. Sie machte kein Hehl aus ihrer Angst. Sie beugte sich zu dem Freund und sagte ihm ein paar Worte, und er, zum erstenmal, seit ich ihn kannte, bestürzt, stand halb auf, sah sich um. Auch ich, von seiner Bestürzung angesteckt, sah mich um. Doch keinerlei Drohung enthielt dieser Raum, nur Ruhe. Die ganze Familie des Wirtes saß um den Nachbartisch, der mit dem gleichen Wein, mit der gleichen Speise gedeckt war wie unserer. Der Wirt, der zugleich der Hauptkoch war, gab, während er seine Lieblingstochter streichelte, Anweisungen an den zweiten Koch, der sein Schwiegersohn war und gleich bei Mariens Eintritt die Hölzer ergriffen hatte, um Teig zu schlagen. Es gab noch zwei Liebespaare mit ineinandergeschobenen Händen und Knien, so reglos, als hätte sie die flüchtigste aller Begegnungen für die Ewigkeit zusammengeschmiedet. Das war alles. Man konnte uns an den Fingern abzählen, unsere Schatten nicht eingerechnet, die das Feuer an die Wand warf. Es brannte mäßig, da bei diesem Wetter, um diese Stunde nicht mehr viele Gäste erwartet wurden. Mir schien es das letzte Feuer, die letzte Herberge in der Alten Welt, die uns Obdach gewährte, ja, und eine letzte Frist, um uns zu entscheiden: fort oder bleiben. Die Wände waren erfüllt von unzähligen solcher Fristen, die unzähligen Menschen hier gewährt worden waren, damit sie noch einmal vor dem Feuer das Wichtigste bedenken konnten, was sie festhielt. Hier war nur Ruhe, was auch für Unglücksbotschaftennachher die letzten Zeitungsverkäufer krächzen mochten, sobald wir die Cannebiére betraten. Nie würde jemand wagen, das Feuer zu löschen, das alle brauchten, die, die von Furcht gepeinigt sich bis zum Alten Hafen geschleppt hatten, und die, die ihnen auf den Fersen waren, denn auch die Verfolger, wie sehr sie auch Furcht verbreiten, sind nicht gefeit vor Furcht.
    Der Arzt beruhigte sich auch, er schüttelte seinen Kopf und sagte: »Sieh selber, Marie, hier ist gar nichts.« Er fügte hinzu: »Es war auch vorhin niemand da.« Er deutete plötzlich auf mich. »Nur er.« Ich spürte ein leichtes Unbehagen, weil ich nicht leiden kann, wenn man auf mich deutet. Ich sagte: »Ich will lieber gehen.« Da faßte Marie meine Hand, sie rief: »Nein, bleiben Sie! Es ist nur gut, daß Sie da sind.« Ich sah, daß ihre Furcht sich legte durch meine bloße Anwesenheit und daß sie sich Schutz von mir versprach vor wirklichen oder eingebildeten Drohungen.
VIII
    Gewiß, jetzt war ich bereit, jedwede Forderung zu erfüllen, damit man

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