Transit
Transitländern. Aller Klatsch dient dazu, die Wartezeit zu verkürzen, denn die Menschen sind wie verzehrt vom Warten. Von den Schiffen, die ohne sie abfuhren, aber aus irgendeinem Grund ihr Ziel nie erreichten, hören alle am liebsten.
Ich fürchtete mich, auf dem mexikanischen Konsulat einen Menschen zu treffen, der mich kannte. Doch als ich unter den Wartenden Heinz erblickte, hüpfte mein Herz vor Freude. Ich vergaß sogar mein schlechtes Gewissen. Ich umarmte ihn, wie sich die Spanier umarmen, indem ich alle seine zerschossenen, dürren Knochen an mich drückte. Die wartenden Spanier standen lächelnd um uns herum mit dem unversehrbaren Herzen der leidenschaftlichen Menschen, die nicht durch Kriege, nicht durch Lager, nicht durch die Schrecken tausendfacher Tode jemals abstumpften, und betrachteten unser Wiedersehen. »Ich hatte Angst, Heinz, du seiest mir für immer durchgegangen. Ich konnte unsere Verabredung damals nicht einhalten. Mir war etwas dazwischengekommen, etwas, was einem nur einmal im Leben passiert. Ich hätte dich für nichts Geringeres aufsitzen lassen.« Er sah mich an wieim Lager, wenn ich versucht hatte, seine Aufmerksamkeit durch einen Unsinn wieder auf mich zu lenken.
Er fragte ziemlich kalt: »Was treibst du denn hier?« – »Ich richte nur einen Auftrag aus. Ich habe mir in den letzten Tagen – oder sind es vielleicht schon Wochen? – die Augen nach dir wundgesehen. Ich habe gefürchtet, du seiest schon auf und davon.«
Seit unserem ersten Wiedersehen war sein Gesicht noch kleiner geworden. Wie es bei kranken und todesmüden Menschen geschieht, war sein Blick desto härter und fester, je leichter und dünner sein Körper war. Seit meiner Kindheit hatte mich niemand ebenso aufmerksam angesehen. Dann fiel mir ein, daß er alles mit gleicher Aufmerksamkeit betrachtete: den lederhäutigen Türhüter, den alten Spanier, der sich trotz der Ausrottung seiner ganzen Familie doch entschlossen hatte, ein Visum zu erringen, als sei dieses Land ein Gefilde der Seligen, wo man die Seinen wiederfände, das kirschenäugige Kind, dessen Vater seit meiner Ankunftsnacht eingesperrt war, nachdem er schon sein Schiff durch das Tor des Hangars erblickt hatte, den Prestataire, dem inzwischen der Bart noch mehr gewachsen war, was ihm ein eulenhaftes Aussehen gab. »Du mußt aus dem Land, Heinz, bevor die Falle zuschnappt. Sonst wirst du nun zu guter Letzt von den Deutschen geschluckt. Hast du ein Transit?«
»Man hat mir ein Portugaltransit verschafft. Von dort geht es weiter – durch Kuba.«
»Aber durch Spanien kannst du nicht fahren. Wie willst du nach Portugal?« – »Ich weiß noch nicht«, erwiderte er, »das muß sich erst finden.«
Plötzlich wurde mir klar, worin die Macht dieses Menschen bestand. Während wir alle gelernt hatten, daß Gott uns hilft, wenn wir uns selbst helfen, war dieser Mensch in jeder Sekunde, selbst in der finstersten, davon überzeugt, daß er nie allein war, daß er, wo er auch war, über kurz oder lang auf seinesgleichen stoßen mußte, die aber selbst auch dann da waren, wenn er zufällig nicht auf siestieß, daß es aber auch keinen noch so verrotteten Teufel, noch so erbärmlichen Feigling, noch so abgestorbenen Toten gab, der nicht zum Aufhorchen zu bringen war, wenn ihn eine menschliche Stimme um Hilfe anging.
»Warte doch auf mich, bitte, Heinz, in den Triaden. Drei Minuten von hier am Cours d’Assas. Glaub mir, ich kann dir Ratschläge geben. Glaub mir, ich werde diesmal bestimmt kommen. Hast du nicht selbst gesagt, daß ich dich nie im Stich lassen werde? Bitte, warte auf mich.« – Er sagte trocken: »Sieh mal nach, ob ich noch dort sitze.«
Der Kanzler empfing mich mit den spitzesten Augen. »Wie? Ihre Frau mit einbegriffen? Ohne spezielle Genehmigung meiner Regierung? Wie? Das finden Sie selbstverständlich? Ich gar nicht. Ihre Frau trägt nicht Ihren Namen. Warum haben Sie sie nicht rechtzeitig eintragen lassen in die Rubrik ›Visenantragsteller begleitende Personen‹? Ihre Frau, die ich die Ehre hatte, kennenzulernen, ist zwar überaus anmutig, aber nichts versteht sich von selbst. Manchmal muß man sich auch von überaus anmutigen Frauen trennen. Ja, der Papst hat sogar schon Ehen getrennt. Ich bin unglücklich, lieber Freund, über den neuen Zwischenfall. Sie müssen warten.« – »Wie lange, glauben Sie, wird die neue Bestätigung auf sich warten lassen?« – »Denken Sie nach, wie lange die erste gedauert hat. Treffen Sie danach Ihre
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