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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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hatte. An der Wand hing ihr blaues Kleid. Die Koffer standen zum Teil noch offen herum. Ich verschloß den einen, verschnürte den anderen, ich rollte und verschnürte die Decken. Es gab auch hier wie bei jeder Abfahrt noch mancherlei Packzwischenfälle. Die Nacht schritt vor. Ich merkte auch, daß der Arzt mit Marie nicht mehr allein sein wollte. Er öffnete eine Flasche Rum, die für die Reise bestimmt gewesen war. Wir tranken alle aus einer Flasche. Wir saßen auf den Koffern herum und rauchten. Marie war ruhig undfast heiter. Auf einmal sagte der Arzt, jetzt habe es keinen Zweck mehr, sich schlafen zu legen, ich möchte ihm helfen, einige Koffer hinunterzutragen, der Wagen sei auf fünf Uhr bestellt. Ich warf einen Blick auf Marie – So wurde ich in der Kindheit unwiderstehlich angezogen von einem Bild, das mir anzusehen unerträglich war. Auch jetzt zog sich mein Herz zusammen, obwohl an Mariens Anblick nichts Unerträgliches war. Sie blieb ruhig und heiter. Nur ihr Gesicht war mir leicht entfremdet durch eine Spur von unverständlichem Spott. Was gab es auch jetzt zu spotten? Wir kletterten dann die Treppe mehrmals hinunter und hinauf, und jedesmal blieb Marie allein im Zimmer, und jedesmal war ein Stück von dem Abschied abbezahlt. Ich dachte, daß sie vielleicht seiner spotte, weil er sie mitgeschleppt hatte quer durch das ganze Land, jetzt aber ohne sie über das Meer fuhr. Sie gaben sich zuletzt die Hand.
    Ein ältliches verdrucktes Mädchen, das in dem Treppenhauszimmer die Nachtwache hatte, stieg gähnend zu uns herauf, das Auto sei gekommen. Ich ging auf die Straße und half dem Chauffeur beim Aufladen. Der Arzt, der nun doch noch drei Minuten allein mit Marie gewesen war, befahl ruhig: »Joliette Hangar fünf!«
    Ich zündete mir eine Zigarette an. Ich rauchte in der Tür des Aumage ein paar Züge. Die Fenster und Türen des gegenüberliegenden Hauses waren noch nächtlich geschlossen. Ich stieg wieder hinauf.
III
    Da lag sie in einer Ecke des Zimmers, als sei sie mir zugefallen als Beute in irgendeinem Kriegszug. Ich glaube, ich schämte mich damals sogar, daß sie mir allzu leicht zugefallen war, durch Würfel, nicht durch Zweikampf. Sie hatte den Kopf auf den Knien liegen, die Hände vors Gesicht geschlagen. Doch merkte ich an dem einzelnen schrägenBlick, den sie mir quer durch das Zimmer zuwarf zwischen zwei Fingern, daß sie wohl wußte, was ihr bevorstand: noch einmal, was auch sonst, die Liebe.
    Gewiß, ich werde sie jetzt gewähren lassen, sich auszutrauern nach Herzenslust. Dann mußte sie ihre Siebensachen zusammenpacken und unter mein eigenes Dach ziehen. Es war gewiß etwas kühn, das Hotel de la Providence »mein eigenes Dach« zu nennen. Ich würde ihr keinen Garten pflanzen können, doch unser beider Papiere würde ich hegen und pflegen, daß kein Polizist uns je etwas anhaben könnte. Wir könnten vielleicht auch später von Marseille wegziehen auf Marcels Farm.
    So dachte ich damals. Doch muß ich wahrheitsgemäß hinzufügen, daß ich nicht weiß, was sie damals selbst dachte. Ich sprach sie nicht an und fragte sie nichts, und ich berührte auch nicht ihr Haar, das einzige, wozu ich im Augenblick Lust hatte. Ich wollte sie weder allein lassen noch mit Trost behelligen. Ich drehte mich weg von ihr und sah auf die Straße hinunter. In dieser Stunde gab es in der Rue du Relais schlechterdings nichts zu sehen. Man sah von diesem Fenster aus nicht einmal das Straßenpflaster. Ich hätte mir einbilden können, in einen Abgrund hinunterzusehen, wenn ich nicht gewußt hätte, daß das Zimmer im dritten Stock lag. Mir war beklommen. Als ich mich tiefer hinausbückte, um zu atmen, sah ich rechts unten über den Dächern gegen den hellgrauen Morgenhimmel die feinen Eisenstäbe über dem Alten Hafen. Wir werden oft diese Fähre nehmen, dachte ich damals, um auf der anderen Seite in der Sonne zu sitzen. Vielleicht in Jardin des Plantes. Wir werden abends die Binnets besuchen. Ich werde im korsischen Viertel herumlaufen, ob ich ein Stück Wurst ohne Karten finde, das sie gern ißt. Sie wird frühmorgens um eine Sardinenbüchse anstehen. Wir werden, wie es Claudine macht, aus unserer Kaffeeration die echten Bohnen herauslesen, damit wir sonntags einen Kaffee haben. Vielleicht wird mir Georg eine Halbtagsarbeit finden. Wenn ich heimkomme,wird sie am Fenster stehen. Wir werden manchmal zusammen Pizza essen und Rosé trinken. Sie wird in meinem Arm einschlafen und aufwachen. Das wird alles sein,

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