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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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dachte ich damals. Alle diese dürftigen Posten ergeben zusammen eine gewaltige Summe: das gemeinsame Leben. Nie zuvor hab ich mir etwas Ähnliches gewünscht, ich Wegelagerer. Jetzt aber, in dem Erdbeben, in dem Geheul der Fliegersirenen, in dem Gejammer der flüchtenden Herden, wünschte ich mir das gewöhnliche Leben herbei wie Brot und Wasser. Jedenfalls würde die Frau bei mir Frieden finden. Ich würde darauf achtgeben, daß sie nie mehr einem Burschen wie mir als Beute in die Hände fiel.
    Es war inzwischen Tag geworden. In der Müllabfuhr, am Ende der Gasse, klapperten sie mit den Eimern. Die Schleusen wurden geöffnet. Ein scharfer Strahl Wasser schoß durch die Gasse und spülte den gestrigen Dreck in eine tiefer gelegene Gasse. Auf dem gegenüberliegenden Dach lag schon die Sonne. Ein Auto fuhr vor, der erste Morgengast für das Hotel Aumage.
    Ich erkannte sofort zwei von den Koffern: den, den ich selbst verschnürt hatte, und den mit den Vorlegeschlössern. Der Arzt stieg aus und gab seine Anweisungen. Er kam nicht nur mit dem Gepäck, das im Hotel gewesen war, sondern auch mit dem großen Koffer, den er bereits vor zwei Tagen auf die Transports Maritimes gebracht hatte. Ich sagte: »Dein Freund ist wieder zurück.« Sie hob den Kopf, sie hörte jetzt selbst seine Stimme, das Gepolter auf der Treppe. Sie sprang auf. Ich hatte sie niemals vorher so schön gesehen. Der Arzt trat ein, er gab gar nicht acht auf Marie, die heiter, mit leisem Spott in den Zügen, an der Wand lehnte. Er war bleich vor Zorn und erzählte: »Wir waren schon alle im Hangar. Die Hälfte von uns hatte schon die letzte Polizeikontrolle passiert. Da hieß es plötzlich, die Militärkommission habe alle Kabinen für die Offiziere beschlagnahmt, die nach Martinique abgehen. Man lud unser Gepäck wieder aus. Dabin ich.« Er lief herum und stöhnte: »Wieviel Mühe hab ich verwandt, um eine Kabine zu bekommen, wieviel Ausgaben. Nur mit einer vorausbezahlten Kabine, glaubte ich, sei ich sicher, niemand könne mir mehr etwas anhaben. Jetzt hat die französische Militärkommission die Kabinen beschlagnahmt, und die Leute im Zwischendeck läßt sie fahren. Diese Leute werden vielleicht ankommen. Werden schon angekommen sein, während ich noch hier im Hotel Aumage sitze. Narren werden ankommen, ich aber kann hier verrecken.« Während er in diesem Tonfall fortfuhr, hingen Mariens Augen an ihm. Ich hörte ihn hinter der Tür weiterfluchen, ich fluchte auf der Treppe.
IV
    Es war noch immer frühmorgens, als ich die Rue du Relais verließ. Der Tag, der vor mir lag, kam mir unausfüllbar vor wie mein ganzes Leben, und die Nacht, die dann folgen mußte, wie mein Grab. Ich lief zuerst zu Georg hinauf, der schon weg war. Der Malgaschneger aus dem ersten Stock hatte Claudine einen großen Fisch geschenkt, den sie gerade schuppte. Das komme ihr sehr zustatten, sagte sie ruhig, ohne meinen Zustand gewahr zu werden, ihre Fleischkarten seien schon alle verbraucht. Auf ihre Einladung ging ich nicht ein, als seien bessere Tische für mich gedeckt und meine Freunde zahllos. Dem Jungen, der seit der Abfahrt des Arztes genau so dalag, wie ich ihn vor zwei Tagen verlassen hatte, rief ich zu: »Er ist wieder zurückgekommen.« Ich hoffte, ihn mit diesen Worten in einen ungeheuren Aufruhr zu versetzen. War es schädlich für ihn, was lag mir daran, sein Arzt war ja zurückgekommen, mochte der ihn heilen. Dann wandte ich mich wieder an Claudine, die ihren Fisch in ein Tuch schlug. Ich fragte sie, ob sie bisweilen daran denke, was aus ihr werden solle. Georg werde sicher nicht ewig bei ihr sitzen. Sie maß mich von oben bisunten, den Kopf in die lange Hand gestützt. Sie erwiderte spöttisch: »Ich bin froh, daß ich etwas zu Mittag habe.« Ich war bereits in der Tür, als sie mir nachrief: »Ich habe meinen Sohn.«
    Ich fuhr in die Berge hinauf nach Beaumont. Der Morgen war sonnig. Ich fand das kleine Haus leicht, in dem ich damals mit Heinz und den beiden Gesellen getrunken hatte. Es war bei Tag ein freundliches, flaches Haus, mit einer außen gelegenen Hühnertreppe, die zu dem einzigen Stockwerk führte. Das Café lag im Erdgeschoß.
    Heinz hatte mir zwar verboten, ihn jemals hier oben aufzustöbern, doch wenn einen alle Gedanken verlassen, dann steigt man blind einem Menschen nach, der etwas besitzt, was einem mangelt, so wie das Vieh, wenn es krank ist, dem Kraut nachsteigt, das ihm guttut. Das Café war verlassen. Ich schlich die Hühnertreppe hinauf, ohne

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