Transit
übel nach Anis schmeckte. Ich sagte ihm, daß ich nichts anderes wünschte als Nachricht über den Freund.
Seine Mauseäugelchen glänzten auf, als ich Heinz erwähnte. O ja, man habe den Mann nach Oran gebracht. Das sei schon eine Weile her. Er sei dort nach Lissabon umgestiegen, die ganze Passage sei in portugiesischen Händen. – »Ein kostspieliger Umweg«, sagte ich. – O nein, verdient sei daran nichts worden, das habe man schon für den Mann selbst getan. Ich kennte ihn ja, er sei ja mein Freund. – Er warf mir einen raschen Blick zu, dem ich entnahm, wie sehr er mich überschätzte, nur weil er mich für den Freund von Heinz hielt. Der Blick aus seinem Mausegesicht verblüffte mich. Wenn es Heinzwahrhaftig gelungen war, diesen Burschen zu einer uneigennützigen Handlung zu bewegen, dann war das Wasser, das Moses aus dem Felsen geschlagen hatte, die pure Spielerei.
Er hatte Heinz wahrscheinlich inzwischen vergessen, doch jetzt, da ich nach ihm fragte, war seine Neugierde nach dem einbeinigen Deutschen frisch erweckt. Es fiel ihm ein, daß einer der Leute, die Heinz verfrachtet hatten, bereits zurück sein mußte. Und da er genau so wenig wie ich zu tun hatte, war er bereit, ihn zu suchen.
Die Sonne war plötzlich verschwunden. Wir blinzelten vor dem kalten Wind. Warum erschien mir der Alte Hafen so kahl? Das Kanonenbootchen war weg. Wohin? Das mutmaßten alle die Müßiggänger, die vor den Cafés herumlungerten trotz des Mistrals, der fast zum Sturm wurde. Es verschlug uns beiden den Atem. Alle seine tausend Gaunereien hatten dem Portugiesen nicht einmal den Mantel eingebracht, der ihn vor der Kälte schützen konnte. Die Muschel- und Austernverkäufer räumten gerade die Körbe ab vor den teuren Gasthäusern, es war also schon drei Uhr. Ich hatte also bereits eine Strecke Zeit hinter mich gebracht. Wir stiegen eine der steilen Straßen hinauf. Für mich war es ungewohnt, von hier aus den Stadtteil zu sehen, in dem ich immer herumlief. Kalkweiß, überkreuzt von den kahlen Rahen der Fischerboote, im kalten Nachmittagslicht vor dem Hafenwasser, das trotz des Mistrals blau genug war, um alles zu spiegeln, kam er mir fremd vor wie jene unerreichbaren oder untergegangenen Städte, von denen man mir erzählt hatte. Ich aber, ich kannte doch jetzt ihre Höhlen, ich kannte jetzt ihr Geheimnis: vier Wände genau wie bei uns daheim, ein Mann und eine Frau, die auf Arbeit ausgingen, ein kranker Junge auf einem Bett.
Wir stiegen keuchend die Treppe hinauf, mein Portugiese und ich, auf der Spur eines kleinen halbzerschossenen Mannes, der in irgendeinem der Häfen des Mittelländischen Meeres verschollen war. Was für eine Kette vonHänden war nötig gewesen, kilometerlang, um die lebenden Reste seines Körpers von einem Wagen zum anderen, von einer Treppe zur anderen, von einem Schiff zum anderen zu reichen. Was hatte der Greis erzählt in der Krypta von Saint-Victor? Dreimal bin ich geschlagen worden, dreimal gesteinigt, dreimal hab ich Schiffbruch erlitten, Tag und Nacht zugebracht in der Tiefe des Meeres, in Gefahr gewesen durch Flüsse, Gefahr in den Städten, Gefahr in der Wüste, Gefahr auf dem Meere.
Wir hielten vor einem räudigen Haus. Innen war es mit kostbarem Holz getäfelt, dem ein mir unbekannter Geruch entströmte. In den höheren Stiegen wurde dieser Geruch verdrängt von dem Geruch einer Druckerei. An der obersten Wohnungstür hing das Schild eines Seemannsvereins.
Auf dem Tisch verteilte man Packen einer frisch abgezogenen Zeitung. Mein Portugiese wandte sich an einen Mann, der mit seinen grauen ruhigen Augen, in deren Winkeln sich durch angespannte Sicht Fältchen gebildet hatten, wobei er alles und alle wach musterte, sich selbst aber aus dem Spiel hielt, mit seinem glatten Haar, seinem ausrasierten Kinn, seinen festen, anständigen Händen vollständig französischer Seemann war. Er hörte gleichgültig auf das Geflüster des Portugiesen, den er offenbar kannte und über den seine Meinung längst feststand, wobei er aus dem Packen Blätter abzählte und einem kleinen, frechäugigen Jungen reichte, der sie in einem Korb unterbrachte. Wie ich viel später hörte, als diese Sache durch eine Verhaftung zum Platzen kam, enthielten diese Blätter nichts als den offiziellen Regierungsaufruf, dem Heer und der Marine beizutreten, durch einen geschickten Druck war aber der Aufruf so angeordnet, daß dieses Blatt bei einer bestimmten Art des Zusammenfaltens eine gaullistische Parole ergab. Mein
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